Design für’s Bewusstsein Über den Super-Designer Luigi Colani
- 22. August 2014
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Für den deutschen Industriedesigner und Marketingstrategen Luigi Colani, 85, bedeutet Design deutlich mehr als die massenhafte Produktion unbequemer Stühle für ein gut betuchtes Klientel. Ob Autos, Möbel, Flugzeuge, Kameras oder alternative Wohnkonzepte – mit all seinen Kreationen will der umtriebige Tausendsassa letztlich nicht weniger, als die Welt retten. Irgendwie beruhigend, dass ihm dies bislang noch nicht (ganz) gelungen ist – auch, weil sich viele seiner Entwürfe in der Praxis schlicht als untauglich erwiesen haben. Ein bisschen träumen darf man aber doch trotzdem, oder?
Der Weg zum Kunststoffkönig
Die Karriere des am 2. August 1928 in Berlin geborenen Designers begann Anfang der 1950er-Jahre. Nachdem Colani sein Kunststudium in Berlin abgebrochen hatte und lieber Vorlesungen zum Thema Aerodynamik an der Pariser Sorbonne besuchte, kam er zunächst beim kalifornischen Flugzeughersteller Douglas Aircraft Company unter. Dort arbeitete er sich schnell zum Leiter des Bereichs «Neue Materialien» hoch, bevor er kurze Zeit später seine ersten Aufträge aus der Automobilindustrie erhielt. In seinen Arbeiten für Alfa-Romeo, Fiat, Lancia und BMW experimentierte Colani mit neuen Materialien für Kunststoffkarosserien. Für VW entwickelte er sogar einen neuen Käfer, den «Colani-GT». Der nach dem Jungdesigner benannte Bausatzsportwagen, der für Bastler schon für 5 000 Mark zu haben war, machte schnell von sich reden und liess Colani bereits früh zur medienwirksamen Stilikone aufsteigen.
Konstruktionslehrbuch Natur
Ab den späten 1960er-Jahren weitete Colani sein Tätigkeitsfeld aus und widmete sich auch zunehmend der Gestaltung von Möbeln und Alltagsgegenständen wie Brillen, Kopfhörern, Biergläsern oder Babywannen. Er fand dabei mehr und mehr zu einer organischen Formensprache und sagte damit der funktionalistischen Bauhausarchitektur mit ihren rechten Winkeln und orthogonalen Kraftmeiereien den Kampf an. Runde Formen, eckenlose Räume und ein grosser Kurvenreichtum sollten fortan seine Entwürfe bestimmten – das vegetative Kunstschaffen eines Friedensreich Hundertwassers scheint hier nicht allzu fern zu sein. Ebenso wie einst der österreichische Künstler bezieht auch Colani die Inspiration für seine Ideen immer wieder aus der Welt der Biologie, deren natürliche Kraft- und Energiemodelle er für seine Projekte produktiv machen will. Damit erweist er sich nicht zuletzt als wichtiger Wegbereiter der Öko- und Bionik-Bewegung, deren Protagonisten Phänomene der Natur auf technische Anwendungsgebiete zu übertragen suchen. Und so verwundert es dann auch kaum, dass seine biomorphen Objekte immer wieder Ähnlichkeiten zu Tieren aufweisen – Fahrzeuge z. B., die an Rochen oder andere urzeitliche Wesen erinnern.
Neue Räume für bessere Menschen
Zielscheibe der Colani’schen Kreationen ist aber der menschliche Körper. Dieser soll von seinen Objekten mit all seinen Sinnen angesprochen werden, über deren Nutzung soll der Rezipient zu ganz neuen Bewusstseins- und Körperformen finden. Ein durchaus hehrer Anspruch für einen Designer, doch Bescheidenheit war nie Colanis Sache. Das Werk des bekennenden Erotomanen muss dabei unbedingt vor dem Hintergrund der gegenkulturellen Bewegungen der 1960er-Jahre gesehen werden, deren Protagonisten – Künstler, Wissenschaftler und Intellektuelle – mit neuen Lebensformen experimentierten und dem Körper eine ganz neue Rolle zumassen. Das Begehren und die natürlichen Triebe sollten endlich zu ihrem Recht kommen, unter Rückgriff auf psychoanalytische Theorien sollte das Lustprinzip das Realitätsprinzip verdrängen und nun auch in der alltäglichen Praxis zur Entfaltung kommen.
Um die Menschen aus ihren eckigen «Gefängniszellen» zu befreien, bedurfte es nach Colani allerdings einiger neuer architektonischer Voraussetzungen: weicher Materialien und runder Formen nämlich, die den Menschen und dessen Libido in Schwingung versetzen sollen. Ein gutes Beispiel für einen Raum, der solche Flow-Erlebnisse ermöglicht, ist die futuristisch anmutende «Kugelküche (Experiment 70)». Diese hat der Meister der eleganten Kurven 1971 für Poggenpohl entwickelt, von ihrem Äusseren her ähnelt sie einer kleinen Raumkapsel. Dass man darin allerdings auch nur so gut kochen kann wie in einer kleinen Raumkapsel (nämlich gar nicht), ist ein bisschen schade, aber auch nicht weiter schlimm. Über 70 Prozent seiner Objekte seien nie in Serie gegangen, berichtet Colani. Zu bedauern scheint er das aber nicht, im Gegenteil.
Von Luftschlössern und Unterwasserstädten
So ziemlich alles hat der Mann mit der grossen Klappe, der sich auch schon mal gerne auf eine Stufe mit dem Schöpfer stellt, bereits ausprobiert. Er entwickelte einen Riesensegler für die NASA, Lastwagen mit umweltschonenden Kühlerhauben, eine Kamera für Canon und aerodynamische Särge. In subaquatischen Ozeansiedlungen wollte er die Landwirtschaft neu erfinden, die an Land Zurückgebliebenen sollten in pilzförmig wuchernden «Wohntürmen» zu einem besseren Leben finden.
Dass Colanis Idee vom «neuen Menschentypen» vorerst eine Utopie bleiben wird, dürfte dem mittlerweile 85-Jährigen bereits selbst aufgegangen sein. Umso schöner ist es, zu sehen, dass ihm die Ideen nach wie vor nicht auszugehen scheinen. Seit 2010 arbeitet er an einem nach aerodynamischen Gesichtspunkten konzipierten Windpark im Chinesischen Meer; zuletzt präsentierte er gar ein 30 Meter langes Show-Wohnmobil – ein «Luxus Motor Home für Milliardäre», um genau zu sein, das über eine spacige Fahrerkanzel sowie einen Heliport verfügt. Dafür garantiert uns der unermüdliche Designer «1 000 Prozent Luxus». Man darf schon gespannt sein, was er als Nächstes vorhat.