Der Verfechter der Glühbirne – Ingo Maurer
- 10. Juli 2012
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Maurer gilt weltweit als einer der führenden Lichtdesigner. Dass Design für ihn eine heitere Wissenschaft und kein starres Dogma ist, spiegelt sich in seinen originellen Leuchten und Lichtsystemen wider, bei denen oft das Leuchtmittel selbst zum Gegenstand seines Konzeptes wird. Dank seiner pfiffigen, oft augenzwinkernd gestalteten Lichtobjekte geniesst der Designer seit langen Jahren höchste internationale Anerkennung. 1965 entwarf er erste Leuchten in der klassischen Lampenfuss-Lampenschirm-Variante, also eher konventionelle und gut verkäufliche Stücke. Umso beeindruckender ging 1966 sein revolutionärer, die klassische Lampenwelt auf den Kopf stellender Entwurf «Bulb» – eine Tischleuchte in Form einer riesigen Glühbirne – an den Start und wurde prompt zu einem weltweiten Erfolg. «Bulb» wanderte schnurstracks in die Sammlung des Museum of Modern Art. Nicht allein wegen ihrer Eleganz, sondern weil Maurer mit diesem Erstlingswerk auch ein Prinzip formulierte, das ihn jahrelang als Industriedesigner begleitet hat: Die Lampe ist für die Birne da – als Rahmung und nicht, um sie zu verbergen. Spielend und experimentierend hat er spektakuläre und wunderliche Lampen unter anderem aus Vogelfedern, zerschlagenem Porzellan, Besteck und Papier entworfen und so die Vorstellung von der Beleuchtung erneuert.
Eine Frage der Stimmung
Als Maurer 1973 japanische Fächer und später handgeschöpfte Papiere zu Lichtobjekten verarbeitete, brach er formal mit allem, was bis dahin an eine Lampe erinnerte. Vor allem aber stiess er in jenen Bereich vor, den er später «die vierte Dimension» nennen sollte. «Licht ist nicht eine Sache des Verstandes und des reinen Zwecks. Licht ist eine Frage der Stimmung, bedeutet Spass, Spiel, Freude, Wohlbefinden.» Seit 1980 vergeht kaum ein Jahr, in dem nicht mindestens eine aufregende Leuchte die Münchner Manufaktur verlässt. In den achtziger Jahren hat obendrein fast jeder mit Ingo Maurer zusammengewohnt – ohne es zu wissen. Auf der Messe «Euroluce» in Mailand stellt er 1984 erstmals die von ihm entwickelte Technik für das Halogen-Lichtsystem vor, welches sofort Furore macht. Zwei silberne Drähte an der Decke, ein Niedervolttrafo und jede Menge Halogenreflektoren, die sich direkt an die Kabel klemmen liessen – das war seine Idee. Er sei damals auf Haiti gewesen und habe einen Mann gesehen, der seine Glühbirnen ohne Fassung gleich mit dem Stromkabel verlötete. «YaYaHo» hiess Maurers Interpretation, die allen europäischen Normen gehorchte und danach unendlich oft kopiert wurde. Während seine Entwürfe seit den 90er Jahren eine zunehmend künstlerische Richtung einschlagen, ist Maurer mit seinem Team doch immer auf der Suche nach neuen Technologien. Er ist stets von der Idee besessen, die elektrische Beleuchtung noch innovativer, noch poetischer zu machen. Keiner hat so radikal mit den landläufigen Vorstellungen von einer Lampe gebrochen. Keiner hat uns so deutlich vor Augen geführt, dass es bei einer Leuchte nicht allein auf die gute Form ankommt, sondern auf die Inszenierung von Licht. Und keiner hat wie er vermocht, den Benutzer an der Gestaltung einer Lampe zu beteiligen.
Weder Poet noch Papst
Maurer begründet seine weitere Entwicklung des klassischen Leuchtkörpers wie folgt: «Meine erste Lampe war ‹Bulb›, eine überdimensionierte Glühbirne. Sie entstand nach einer Flasche Wein und einer ‹sense impression›. Die Inspiration kam also vom Ursprung des industriellen Lichts, von Thomas Alva Edison. Ich bin nicht total gegen den klassischen Lampenkörper, aber ich brauche eine neue Dimension, neue Wege, will über die Grenzen. Ich gehe weiter und weiter, so lange ich kann.» Die Entwürfe von Ingo Maurer werden oft als leicht und flüchtig beschrieben, und wie kaum ein anderer versteht er es, dem Licht bestechende Formen und eine eigene Sprache zu geben. Zu Recht gilt er als der Lichtpoet, doch Menschen, die ihn gut kennen, sagen, Ingo Maurer sei immer noch ein Kind, das gern Lampen baut. Internationale Designkritiker geben sich mit so einer lapidaren Beschreibung natürlich nicht zufrieden, sie bezeichnen Maurer als «Lichtpoeten» oder – noch eine Stufe expressiver – als «Lichtpapst». «Ich bin der Sohn eines Bodenseefischers», sagt Ingo Maurer und schüttelt den Kopf. «Ich bin weder Poet noch Papst und wirklich erstaunt, was andere manchmal in meine Arbeiten hineininterpretieren.»
Bei allen internationalen Auszeichnungen und Ausstellungen bleibt Ingo Maurer seinen Wurzeln treu: Wie kein anderer setzt er sich immer wieder mit der Glühbirne auseinander. Er arbeitet rastlos an Möglichkeiten, die warme Leuchtkraft der Glühbirne in anderen Leuchtmitteln wieder zu beleben. Seine LED-Forschung ist als Erweiterung des Lichtspektrums gedacht. Seine Affinität zur Glühbirne hat er beibehalten und er kämpft weiter um die Glühbirne! «Bei mir zu Hause würden Sie keine dieser ekelhaften Energiesparbirnen finden. Wir können es uns nicht gefallen lassen, diese langweilige Lichtart auf uns regnen zu lassen. Was meinen Sie, was passiert, wenn Australien tatsächlich die Glühbirne per Gesetz abschafft? Die Leute werden zum Psychiater laufen! Dieses Sparlicht macht krank. Wir können an anderen Stellen Energie sparen, etwa bei der Überbeleuchtung von Städten.»
Auch mit späteren Entwürfen, wie der programmatischen Nofuss oder der eleganten Savoie feierte Maurer die schlichte Schönheit der unverhüllten Glühbirne. Lucellino, die Birne mit den Engelsflügeln aus Gänsefedern, ist inzwischen beinahe zu seinem Markenzeichen geworden.
Doch ist der Wahlmünchner weder Minimalist noch ein Dogmatiker, der strikt einer rigiden Gestaltungslehre folgt. Ganz im Gegenteil zeichnet Maurers Schaffen eine ungeheure Vielseitigkeit aus. Design ist für ihn eine fröhliche Wissenschaft, für die er sich oft von Alltagsgegenständen inspirieren lässt. Für die Tischleuchte BiBiBiBi entdeckte er in einem Supermarkt rote Vogelbeine aus Plastik; Mozzkito basiert auf einem handelsüblichen Teesieb, in welches eine Halogenbirne eingepasst wurde; und der Lüster Porca Miseria! lässt mit seiner Collage aus weissen Keramikscherben an eine Explosion im Geschirrschrank denken. Dagegen muten seine Leuchten aus Papier eher zurückhaltend, mitunter fast poetisch an. Ein Werkstoff, den der gelernte Typograph als Lichtfilter und -reflektor schätzen gelernt hat und mit dem er seit den 1970er Jahren immer wieder arbeitet und experimentiert. Ingo Maurer hat uns gezeigt dass sich Beleuchtung wie Kunstwerke gestalten lassen kann.
Shortcut
Die Erfindung der Glühbirne
«Ich bin beim elektrischen Licht auf eine Goldader gestossen», soll Thomas Alva Edison am 8. September 1878 seinem Mitarbeiter im Forschungslabor telegrafiert haben. Das Prinzip seiner Glühlampe: Wenn elektrischer Strom durch einen Draht fliesst, entsteht Reibungswärme. Das Material wird erhitzt und beginnt schliesslich zu glühen. Damit der Draht nun nicht verbrennt, muss er in ein luftleeres Gefäss eingeschlossen werden. Diese Gefässe galt es zu produzieren, und so errichtete Edison zunächst eine kleine Fabrikationsanlage für gläserne Birnen. Dann suchte er mit seinen Mitarbeitern nach einem geeigneten Glühfaden: Ein verkohlter Baumwollfaden entpuppte sich als die optimale Lösung. Am 21. Oktober 1879 konnte die erste Glühbirne hergestellt werden, deren Glanz 45 Stunden anhielt – ein Rekord an Haltbarkeit!