Der Mann in Schwarz – Johnny Cash
- 10. Juli 2012
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Bereits zu Lebzeiten war Johnny Cash eine Legende. Er sang für Häftlinge ebenso wie für US-Präsidenten. 2003 verstorben, wäre er im Februar 80 Jahre alt geworden. Johnny Cash wusste, wovon er sang. Die Sorgen und Nöte der kleinen Leute kannte er aus eigener Anschauung. In bitterster Armut war er aufgewachsen als viertes von sieben Kindern eines Farmers, der in Arkansas ein kleines Fleckchen Erde bewirtschaftete. Man lebte sprichwörtlich von der Hand in den Mund. Jeder im Haushalt musste auf den Feldern mithelfen, so auch der kleine J. R., der, am 26. Februar 1932 geboren, in den entbehrungsreichen 30er-Jahren miterleben musste, wie die elterliche Farm gleich von zwei verheerenden Fluten heimgesucht wurde, die die Ernte vernichteten. Trotzdem verzweifelte die tief religiöse Familie nie. Trost und Zuflucht fand man in Kirchen- und Gospelliedern.
«I Walk the Line»
Als jungen Mann zog es ihn fort. Der einzige Weg, wie so einer wie er aus armen Verhältnissen etwas von der Welt sehen konnte, war die Armee. Cash verpflichtete sich und wurde in Bayern stationiert, wo er seine erste Band gründete: «The Landsberg Barbarians». Nach seinem Dienst bei der Air Force zog er nach Memphis, Tennessee. Dort lernte er Luther Perkins (Gitarre) und Marshall Grant (Bass) kennen, die «Tennessee Two». Gemeinsam trat man in örtlichen Clubs auf und wurde 1955 bei Sam Phillips’ inzwischen legendärem Label Sun Records vorstellig, das als die Geburtsstätte der Karrieren von Elvis Presley, Roy Orbison und Jerry Lee Lewis in die Musikhistorie eingehen sollte. Die erste Single wurde gleich ein Achtungserfolg, und bereits mit der dritten Veröffentlichung «I Walk the Line» gelang ihnen ein Nummer-Eins-Hit in den Billboard-Country-Charts.
Nach dem Weggang Presleys, der zu einem Major-Label wechselte, mauserte sich Cash in kürzester Zeit zum erfolgreichsten Künstler bei Sun. Dennoch wurde er dort nicht glücklich, denn in einer Zeit, wo es bereits branchenüblich war, den Künstler mit fünf Prozent am Gewinn der Plattenverkäufe zu beteiligen, gab es von Phillips nur drei Prozent. Auch wollte dieser nichts von den Kirchenliedern wissen, die Johnny Cash neben den Songs mit weltlichem Inhalt zusätzlich aufnehmen wollte. Ganz anders sah es bei Columbia Records aus, die Cash und seiner Band nicht nur bessere Konditionen versprachen, sondern auch ein grösseres Mass an künstlerischer Freiheit. Johnny Cash wollte nämlich Konzeptalben mit durchgängigen Themen veröffentlichen, was bei Sun, wo LPs ausschliesslich für die Zweitverwertung bereits erfolgreicher Singles da waren, nicht möglich war.
«Ballads of the True West»
1958 wechselte er die Plattenfirma und lotete in der Folgezeit die Möglichkeiten des neuen Mediums der Langspielplatte immer konsequenter aus. Er nahm Sammlungen von Gospel-Songs, Arbeiterliedern und Folk-Balladen auf, setzte sich mit «Bitter Tears» engagiert für die Rechte der amerikanischen Ureinwohner ein und lieferte 1965 mit den «Ballads of the True West», einer Kollektion von Stücken über die Siedler, die im 19. Jahrhundert nach Westen zogen, das erste Country-Doppel-Album überhaupt ab. Die Lieder und Geschichten der kleinen Leute faszinierten ihn. Sein Herz schlug schon immer für die Aussenseiter der Gesellschaft. Dass es sich bei seinem Anspruch, das Sprachrohr der Verlierer und Unterprivilegierten zu sein, nicht um ein Lippenbekenntnis handelte, bewies er schon 1956, als er ohne zu zögern eine Einladung der Häftlinge des texanischen Staatsgefängnisses von Huntsville annahm. Für sie spielte er ebenso wie für die Insassen von San Quentin, wo er mehrere Jahre lang regelmässig auftrat.
Dass er ein Künstler von höchster Integrität war, bewies er Anfang der 70er-Jahre. Das Weisse Haus lud ihn ein, um für den damaligen Präsidenten Richard Nixon zu spielen. Nixons Mitarbeiter schlugen die damals aktuellen Country-Hits «Okie from Muskogee» und «Welfare Cadillac» vor – das eine ein Spottlied von Merle Haggard auf langhaarige Kriegsgegner, das andere ein Guy-Drake-Song über Sozialhilfebetrüger. Cash weigerte sich und spielte vor Nixon lieber einige seiner eigenen Songs, unter anderen «The Ballad of Ira Hayes».
Dieser Song basiert auf einer wahren Geschichte. Hayes war ein Ureinwohner vom Stamm der Pima, die in ihrem Reservat in Arizona regelrecht dahinvegetierten. Die einzige Wasserquelle dort war das Rinnsal eines Bewässerungsgrabens. Als Veteran des Zweiten Weltkriegs hatte Ira Hayes die verlustreiche Schlacht von Iwo Jima überlebt. Nach seiner Rückkehr wurde er zunächst als Held gefeiert und von der Öffentlichkeit und der Presse herumgereicht – nur, um dann in Vergessenheit zu geraten und als Alkoholiker ohne Job und Perspektive zu enden. Wie man sich vorstellen kann, war dieser Song nicht unbedingt die leichte Kost, die man sich in Nixons Büro für den zwanglosen Empfang vorgestellt hatte.
«Man in Black»
Auch mit dem, was der unbequeme Sänger auf der Bühne trug, wollte er ein Zeichen setzen. Im Gegensatz zu vielen anderen Country-Stars verzichtete Johnny Cash auf schillernde Bühnenoutfits.
Zunächst hatten er und seine Begleitmusiker sich nur deshalb für einfache dunkle Kleidung entschieden, weil dies cool aussah und sie sich darin wohl fühlten. 1969 aber schrieb Cash dann einen Protest-Song namens «Man in Black». Im Stile Bob Dylans zählte er alles auf, was in seinem Land falsch lief. Er erinnerte unter anderem an die Gefallenen des Vietnamkriegs und sprach von den Armen in den Schlangen vor den Suppenküchen. Mit ihnen solidarisierte er sich, jenen oft Übersehenen, die sich keine teuren Anzüge leisten konnten. Solange sich deren Lebensverhältnisse nicht verbessern, so Cash, bleibe ich der Mann in schlichtem Schwarz.
Den absoluten Karriere-Höhepunkt erreichte er Ende der 60er Sein Album «At San Quentin» und die dazugehörige Single «A Boy Named Sue» stürmten die Hitparaden, und man bot ihm sogar eine landesweite wöchentliche TV-Show an, die er zwei Jahre lang moderierte. Im Rahmen dieser Sendung stellte er dem amerikanischen Publikum zahlreiche neue, damals noch nicht etablierte Talente vor wie etwa Kris Kristofferson, James Taylor oder Joni Mitchell. Johnny Cash besass keine musikalischen Scheuklappen, er dachte nicht in Schubladen und lud Kenny Rogers ebenso zu sich ein wie Louis Armstrong. Rock-Musiker wie der junge Eric Clapton waren ebenso zu Gast wie Soul-Sänger – Ray Charles beispielsweise gab eine völlig umarrangierte Version des Cash-Hits «Ring of Fire» zum Besten.
Im September 2003 verstarb Johnny Cash im Alter von nur 71 Jahren an den Folgen von Diabetes. In seinen letzten Lebensjahren hatte sich sein Gesundheitszustand rapide verschlechtert. Er litt an einer unheilbaren Erkrankung des Nervensystems, hatte chronische Schmerzen und überstand ein zwölftägiges Koma ebenso wie mehrere schwere Lungenentzündungen. Verbittert war er deswegen trotzdem nicht. Noch in seinem letzten Fernsehinterview erklärte er: «Es ist in Ordnung, dass es dafür kein Heilmittel gibt. Für das Leben gibt es doch auch keins.»
Shortcut
Ein spätes Comeback
In den 80ern ging es mit Johnny Cashs Karriere bergab. Der Tiefpunkt war erreicht, als Columbia Records ihm 1986 nach beinahe 30 Jahren der Zusammenarbeit kündigte. Erst in den frühen 90ern kam er wieder auf die Beine, als er von dem Produzenten Rick Rubin wieder entdeckt wurde, der sich bis dahin eher mit HipHop- und Rock-Produktionen einen Namen gemacht hatte. Die «American Recordings» zeichneten sich durch eine Beschränkung auf das Wesentliche aus: Die Arrangements waren spärlich reduziert. Rubin vertraute ganz auf Cashs mächtige Baritonstimme, die nur von seiner akustischen Gitarre begleitet wurde. Für «Unchained», eins von Cashs vitalsten und gelungensten Alben, kehrte der Mann in Schwarz 1996 noch einmal zu seinen Rockabilly-Anfängen zurück – und gewann prompt einen Grammy für das Country-Album des Jahres. Insgesamt vierzehn Mal wurde Cash mit dem höchsten amerikanischen Musikpreis ausgezeichnet, zuletzt im Jahr seines Todes für das Video zum Song «Hurt».