Der Lichtzauberer – Olafur Eliasson
- 8. Oktober 2012
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«Man findet in der Natur einfach einen unheimlichen Reichtum in der Darstellung von dimensionalen Phänomenen. Die Natur trägt eine grosse illusorische Qualität in sich. Jeder kann seine Metaphern und seine Erinnerungen hineinprojizieren. Die Natur hat etwas unglaublich Offenes. Das hört sich kitschig an, aber als Sprache ist das phänomenal.» (Olafur Eliasson) Wer wohlige Entspannung sucht, geht eher in die Badewanne, selten ins Museum. 2003 aber pilgerten Entspannungssuchende mit Picknickkörben in die Londoner «Tate Modern», legten ihre Decken auf den kalten Boden, sich selbst darauf und schauten entzückt zur Decke. Die Turbinenhalle der «Tate» ist kein Ort, wo man sich ausstrecken will. Man fühlt sich ameisenklein verloren, bestenfalls ist man von der Monumentalität so bewegt, dass man galant hindurchpromeniert. Doch den Unterschied zwischen gemütlich und ungemütlich, das doziert jeder Einrichtungsberater, bestimmt die Lichtsituation. Und für eine solche ist Olafur Eliasson Experte.
Physikalische Naturphänomene
Seit Jahren untersucht Eliasson die Erscheinungsformen von Licht. Diese baut er mit Scheinwerfern, Projektoren, Spiegeln, Farbfiltern, Nebel und optischen Linsen nach und zeigt mit allem technischen Brimborium das, was in der Natur alltäglich ist – Lichtwechsel, Schattenspiele, Regenbogen, Spiegelungen – oder wie in der Turbinenhalle eben einen Sonnenuntergang. Dafür installierte er an der Wand einen halbrunden Sonnenlichtkegel, der die ganze Halle in honiggelbes Licht tauchte, liess dazu ein wenig künstlichen Nebel hineinpusten und schon schlug das «Weather Project» gehörig auf das Betrachtergemüt. Selbst wenn er für Werbemassnahmen Luxuskaufhäuser-Schaufenster gestaltet oder Autos einfriert, immer ist Eliassons Kunst beinahe körperlich spürbar.
Dass seine Werke trotzdem nicht wie meditatives Lava-Lampen-Feng-Shui daherkommen, dafür sorgt seine Ehrlichkeit. Denn die Technik wird nicht wie im Theater hinter der Bühne versteckt, sondern ist stets sichtbar. Eliasson präsentiert das künstlich generierte «Naturereignis» als physikalisch-technische Unterrichtsdemonstration wie jemand, der sagt: Wasser plus Hitze macht eben Kochwasser. Damals in der «Tate» haben 2,2 Millionen Menschen dieses Phänomen miterlebt.
Künstliche Naturphänomene
In den neunziger Jahren war Eliasson mit verblüffend simplen und effektvollen optischen Tricks bekannt geworden. Einmal spannte er eine sonnengelbe Folie durch den Raum, in dem es plötzlich aussah, als falle warmes Abendlicht herein. Bei Utrecht wunderten sich Autofahrer, dass die Sonne auf der verkehrten Horizontseite hinter ein paar Bäumen unterging – bis der Künstler sie abholte: Es war eine Scheibe mit fast vier Meter Durchmesser. In Stockholm starrten 1998 die Leute erstaunt ins Wasser, das giftgrün leuchtete – Eliasson hatte eine Farbe benutzt, die Wissenschaftler zum Markieren von Flussverläufen verwenden, er hatte sozusagen die Avantgarde-Idee des All-over-Painting aufs Stadtformat hochgezoomt; die Farbe verliess das Museum und überschwemmte den öffentlichen Raum. Olafur Eliasson möchte, dass die Kunst etwas mit dem Leben zu tun hat und über die elitäre Kunstszene hinaus Menschen ansprechen. Manchmal holt er dafür die Kunst aus dem konservativen Gebilde «Museum» – wie bei «The New York City Waterfalls». 2008 liess Eliasson 110 Tage lang vier künstliche Wasserfälle rund um die Südspitze von Manhattan installieren und Unmengen von Wasser in den East River fallen. Das von der Stadt und Sponsoren finanzierte Projekt diente einerseits als touristische Attraktion, sollte aber auch Denkanstösse zu Umweltschutz und Stadtplanung geben. Gerade in der heutigen Zeit mit unserer klimapolitischen Situation sind Eliassons Kunstwerke aktueller und brisanter denn je. Auch wenn seine Werke – wie zum Beispiel die Wasserfälle, der künstliche Sonnenaufgang oder das ständig zu frostende Auto – selbst Energieschlucker sind und somit Beschleuniger der Klimakatastrophe, so sind doch zwei Millionen Autofahrer, die nach der Betrachtung darüber nachdenken, ob sie selbst nicht eine grosse Schuld tragen, und ihr Verhalten ändern, ein paar ausgelastete Kühlaggregate wert.
Künstler und Unternehmer
Eliasson ist nicht nur einer der weltweit wichtigsten und erfolgreichsten Künstler der Gegenwart. Er ist auch, im allerbesten Sinne, der populärste. Das zeigt sich nicht nur an den Tausenden von Besuchern, die seit Jahren zu seinen Installationen und Ausstellungen strömen. In seinem riesigen Atelier im Prenzlauer Berg, arbeiten stets 30 bis 50 Leute an bis zu 50 Projekten gleichzeitig – Architekten, Kunsthistoriker, Designer und diverse Technikexperten. «Es geht nicht darum, ob das, was wir tun, Architektur oder Kunst ist; es geht nicht darum, zwei Gebiete zu polarisieren … Vielmehr geht es darum, nach vorne zu schauen und zu erkennen, dass es uns das hier im Studio gebündelte Wissen erlaubt, traditionelle Grenzen der Kunst zu überschreiten.» So erläutert Eliasson die Rolle seiner Atelierwerkstatt in Berlin. Unter der Leitung des dänisch-isländischen Künstlers fungiert sie als experimentelles Labor und interdisziplinärer Raum, in dem stets aufs Neue überraschende Dialoge zwischen Kunst und Natur angestossen werden. Eliasson ist gut im Geschäft. Seine kleinen Kaleidoskope werden für um die 100’000 Euro versteigert. Grössere Objekte erzielen ein Vielfaches an Gewinn oder kommen gar nicht erst auf den Markt, da sie schon während ihrer Entwicklung von Sammlern und Museen gekauft werden.
Seine künstlerische Laufbahn begann an der Königlich Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen. Hier verbrachte er auch seine Kindheit mit der Mutter, einer Näherin, und dem Vater, der selber Künstler war. Zu seinen Vorbildern gehörte Robert Irwin. Seine pragmatischen Vorstellungen von Körper und Raum entsprechen Eliassons Vorstellungen von der Realität.
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Im Labor der Kunst
Diese umfangreiche Enzyklopädie bietet einzigartige Einblicke in die vielen Projekte des Studios von Olafur Eliasson. 26 Schlüsselbegriffe zu Eliassons Werk wie Beauty, Gravitation oder Utopia werden in alphabetischer Folge präsentiert und entfalten sich in kurzen, intensiven Gesprächen mit dem Künstler. Berücksichtigt wurden fast alle bisher realisierten Arbeiten, darunter Eliassons oft riesenhafte Installationen, Fotografien, Skulpturen und Architekturprojekte. Zusätzliches Material wirft Licht auf die längerfristig laufenden Forschungsprozesse im Berliner Studio. Der renommierte Kunsthistoriker Philip Ursprung verfasste den einleitenden Essay und führte die Interviews mit dem Künstler. Ein im wahrsten Sinne des Wortes erhellendes Buch!