
Der mit dem Papier tanzt
von Helena Ugrenovic; Titelbild: Didier Boy de la Tour
- 4. September 2017
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Während sich beim Spiel «Schere, Stein, Papier» die einzelnen Elemente ausstechen, komponiert der mit dem Pritzker-Preis geehrte japanische Star-Architekt Shigeru Ban aus Materialien wie Bambus, Holz und Stoff luftig-zarte, von Licht, Bewegung und Leichtigkeit durchflutete Bauten. Meistens ohne einen einzigen Nagel, Backstein oder Zement dafür zu verwenden.
Bereits vor Jahrtausenden und noch vor der Erfindung von Schrauben und Befestigungselementen nutzten japanische Handwerker komplexe, ineinandergreifende Verbindungen, um Holzstücke für Strukturen und Balken miteinander zu verbinden und so eine einzigartige japanische Holzästhetik zu schaffen, die in den Werken der modernen Meister wie Shigeru Ban zu bewundern ist.
Der Traum vom Zimmermann
Am 5. August 1957 wird Shigeru Ban als Sohn eines Geschäftsmannes und einer Designerin für Haute Couture in Tokio geboren. Als Ban noch ein Kind ist, werden häufig Schreiner eingestellt, die das Holzhaus der Familie renovieren. Der Junge ist fasziniert von der traditionellen Arbeit der Zimmerleute und sammelt mit Vorliebe Holzstücke, um daraus Gegenstände zu bauen. Er beschliesst, Schreiner zu werden. Als er in der Grundschule in den Fächern Kunst und Handwerk das Modell für ein Haus entwirft, das als bestes der Schule vorgestellt wird, ändert er seine Pläne und entscheidet sich für Architektur. Parallel dazu steht Rugby, eine weitere Leidenschaft.
Wink des Schicksals
Ban wird an der Waseda-Universität, einer der prestigeträchtigsten privaten Universitäten Japans und bekannt für ihre starke Rugby-Mannschaft, aufgenommen und besucht gleichzeitig die Tokyo University of the Arts, eine der renommiertesten Ausbildungsstätten für Musiker und Künstler in Japan, um Architektur zu studieren. An Abendschulen bereitet er sich mit Zeichenkursen darauf vor und lernt, mit Papier, Holz und zum ersten Mal auch mit Bambus strukturell und bautechnisch zu modellieren. Mit seinen aussergewöhnlichen Fähigkeiten ist er geradezu einzigartig in diesem Gebiet. Als er sich eines Tages im Haus seines Lehrers Tomaharu Makabe befindet, auch ein Absolvent der Tokyo University of the Arts, stolpert er über einen Bericht über John Hejduk, den «Papierarchitekten» und späteren Dekan der Cooper Union School of Art and Architecture in New York. Bans Begegnung mit Hejduks Modellen, Plänen und nicht realisierten Gebäuden ist bahnbrechend für ihn, und er beschliesst, Architektur an der Cooper Union zu studieren.
Glückliche Fügungen
Als Shigeru Ban in Kalifornien Englisch lernt, stellt er fest, dass die Cooper Union keine ausländischen Studenten aufnimmt, sondern nur Studenten anderer Schulen innerhalb der Vereinigten Staaten akzeptiert. Er sucht nach einer Schule, von der aus ihm der ersehnte Transfer an die Cooper Union gelingt, und entschliesst sich für das neu gegründete Southern California Institute of Architecture (SCI-Arc). Der berühmte Architekt und Gründer des SCI-Arc, Raymond Kappe, interviewt Ban, der damals zwar noch nicht gut Englisch spricht, aber Kappe, begeistert über Bans beeindruckendes Portfolio, nimmt ihn als Schüler auf. Nach vier Jahren wechselt er an die Cooper Union, studiert mit den zukünftigen Stararchitekten Dean Maltz, Nanako Umemoto sowie Laurie Hawkinson und lernt bei den Besten seiner Zunft wie Ricardo Scofidio, Tod Williams, Diana Agrest, Bernard Tschumi, Peter Eisenmann und John Hejduk. Nach einem vierjährigen Studium setzt er für ein Jahr aus, arbeitet bei Arata Isozaki in Tokio, einem japanischen Architekten mit internationaler Reputation, und kehrt 1984 wieder an die Cooper Union zurück, wo er den Bachelor of Architecture erhält. Nach seinem Studium begleitet Ban den Fotografen Yukio Fukagawa auf einer Reise nach Europa, wo er zum ersten Mal die Architektur von Alvar Aalto in Finnland besucht und überwältigt darüber ist, wie Aalto regionalen Kontext und Material in seinen Werken betont.
Karrierestart
Ohne jegliche Berufserfahrung eröffnet Shigeru Ban 1985 sein eigenes Architekturbüro in Tokio und entwirft bis 1986 Ausstellungen für Emilio Ambasz, Alvar Aato und als Kurator der Axis Gallery in Tokio die Ausstellung von Judith Turner. Bei der Entwicklung der Papierrohrkonstruktionen, die er zum ersten Mal auf der Aalto-Ausstellung umsetzt, entwirft Ban eine Serie von Fallstudienhäusern wie das «PC Pile House», «House of Double-Roof», «Furniture House», «Curtain Wall House», «2/5 House», «Wall-less House» und «Naked House».
Fragile, robuste Leichtigkeit
Ban konzentriert sich auf experimentelle Ansätze für Materialien und strukturelle Systeme und verwendet in vielen Fällen Substanzen wie Papier, Holz, Stoff und Transportbehälter, um Gebäude auf aussergewöhnliche Weise zusammenzubauen. Als 1995 seine Ban-Rohstruktur-Entwicklung das ständige Architekturzertifikat des Ministers für Bauwesen in Japan erhält, schliesst er das «Paper House» ab. Für das Nomadic Museum in New York benutzt er Schiffsbehälter und wendet traditionelle Tischlertechniken an, um das Tamedia-Bürogebäude in Zürich zu erschaffen. Das verriegelnde Bauholz-System besteht ohne Verwendung von Eisen oder Kleber. Bans unkonventioneller Ansatz führt zu einer eleganten Leichtigkeit und aussergewöhnlichen Gebäuden, was am besten am Centre Pompidou-Metz in Metz zu sehen ist.
Wie ein riesiger japanischer Hut wellt sich die geschwungene Dachkonstruktion dieser einzigartigen Architektur über das grosszügige Gebäude mit seinen drei um den Erschliessungsturm sternförmig übereinandergestapelten, röhrenartigen und gross dimensionierten Galerien. Das aus einer dichten Holzkonstruktion gefertigte Dach ist mit einer wasserdichten, weissen Membranhaut aus Glasfaser- und Teflon-Basis beschichtet, was bei dem nachts beleuchteten Gebäude zu einer Transparenz führt und wodurch die darunterliegenden Konstruktionen sichtbar sind.
In luftiger Höhe
In der laut dem Forbes-Institut reichsten Stadt der USA, Aspen, feiert 2014 ein weiteres Markenzeichen des Star-Architekten Eröffnung. Das Aspen Art Museum soll auch ein Ort der Erholung werden, ein Gebäude, das nur in Aspen stehen kann, und es soll wie eine Skulptur sein, die kognitiv ist mit seiner eigentlichen Funktion, die Kunst perfekt zu präsentieren. Shigeru Ban «Wir wollten, dass das Gebäude zum Ort Aspen und seinen quadratischen, braunen Häusern passt, aber ohne Backsteine.» Mit leichten Materialien wie ineinander verwobenen Holzpanelen und speziell laminiertem Papier baut Shigeru Ban ein transzendentes Gebäude mit Wiedererkennungswert. Aus Platzgründen wird die Lobby auf das Dach verlagert, und so führen eine Outdoor-Indoor-Treppe und ein Lift zu den Galerien, die gleichzeitig einen fantastischen Ausblick auf die Berge und die zauberhafte Umgebung freigeben. Shigeru Ban «Es ist genauso wie beim Skilaufen, man muss zuerst auf den Berg und sieht dabei die ganze Schönheit der Landschaft.» 2011 wird Shigeru Ban zum Professor an der Fakultät für Umwelt- und Informationswissenschaften an der Keio-Universität ernannt. Nachdem er den Wettbewerb des Centre Pompidou-Metz gewonnen hatte, gründete er mit seinem Partner Jean de Gastines ein Architekturbüro in Paris.
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