
Der Mann mit dem perfekten Profil
von Helena Ugrenovic
- 3. November 2017
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Robert Taylor ist die Mischung eines Botticelli-Engels und einer Prise Diabolik. Kerbe im Kinn, sinnlicher Kuss-Mund, betörend blaugraue Augen in einem attraktiven, aristokratischen Gesicht und, wenn er den verwegenen Schnauzer trägt, eine Kombination zwischen Salvador Dalì und Don Juan de Marco. Neben Tyrone Power gilt er nicht nur als der schönste Schauspieler, sondern ist der populärste Hauptdarsteller seiner Zeit.
Robert Taylor ist das, was man das tadellose Kind, den vorbildlichen Musterschüler, makellosen Abschlussball-König, idealen Freund und Schwiegersohn nennt. Gesegnet mit einer wohlklingenden Stimme und einer Redekunst, die ihm während seiner Studienjahre etliche Preise bei Wettbewerben einbringt. Und alles das verpackt in einem athletischen Körper. Er ist der «good guy», der Frauenschwarm schlechthin und bodenständige MGM-Verbundene, der seinem Arbeitgeber 24 Jahre die Treue hält und trotz seines gebildeten Elternhauses Studioboss Louis B. Mayer naiv und blind vertraut, während ihn dieser über zwei Dekaden manipuliert und sein Gehalt im Vergleich zu anderen Schauspielern auf dem tiefsten Lohnlevel hält.
Sissy
Spangler Arlington Brugh wird am 5. August 1911 im winzigen Dörfchen mit einer Handvoll Einwohner Filley in Nebraska, USA, geboren. Der kleine Arlington ist ein süsses, hübsches Kind, das in einem behüteten Zuhause aufwächst. Sein Vater Spangler Andrew Brugh ist ein angesehener Landarzt, seine Mutter Ruth Adela Stanhope Brugh eine kränkliche Frau, die ihren Sohn gerne in mädchenhafte Kleidung mit ausladenden Kragen und Rüschen steckt. Eine Vorliebe der Mütter jener Zeit, die ihren Kindern im Schulalter jedoch Spott, Häme und Arly den Spitznamen «Sissy» einbringt. «Das war der Auslöser, dass ich zu einem schnellen Läufer wurde», kommentiert Robert Taylor Jahre später.
Kurswechsel
Als dreijähriger Knirps begleitet er seinen Vater auf dessen Krankenbesuchen durch das gottverlassene Nebraska – «In unserem Haus roch es nach Schokolade, warmem Maisbrot und Formaldehyd» – und soll später in die Fussstapfen seines Vaters treten. Doch irgendwie scheint ihm das massgeschneiderte und adrette Leben eher zu schaden und seine Entwicklung negativ zu beeinflussen. Als Arly eines Tages plötzlich zu stottern beginnt, bringen ihn die Eltern auf den Bauernhof von Freunden, wo er sich wie ein normaler Junge kleiden, mit Kindern seines Alters spielen und herumtollen kann. Das Stottern verschwindet.
Arly ist ein brillanter Tennisspieler und Sportler, und eigentlich soll er Medizin studieren, doch der sensible und künstlerisch veranlagte Teenager fühlt sich viel stärker zur Musik hingezogen. Ruth fördert das musikalische Talent ihres Sohnes, animiert ihn dazu, Violoncello zu spielen, und unterstützt ihn darin, Musik zu studieren. Er schreibt sich am Doane College in Crete, Nebraska, ein, doch als sein Lieblingslehrer Herbert Grey einige Zeit später an das Pomona College in Kalifornien wechselt, verlässt er die Einöde Nebraskas und folgt seinem Lehrer in das circa 50 Kilometer von Los Angeles entfernte Städtchen Claremont. Es ist eine Entscheidung, die sein Leben komplett umkrempeln wird.
Die neue Reise
Arly, dem die Schauspielerei genauso liegt wie alles, was er in seinem bisherigen Leben angepackt hat, ist Mitglied der örtlichen Theatergruppe und spielt in zahlreichen Aufführungen meistens die Hauptrolle eines jungen Helden. In seinem Abschlussjahr steht er in der Hauptrolle des Stücks «Journey’s End» auf der Bühne. Doch «Das Ende einer Reise» wird für den Studenten, der sich zur richtigen Zeit am richtigen Ort und vor der richtigen Person befindet, eine neue Reise in eine andere Welt. Ein Talentsucher der MGM-Filmstudios, der im Publikum sitzt, ist fasziniert von dem begabten, schönen Mann und bringt ihn in der studioeigenen Schauspielschule unter.
1934, als Arly 23 Jahre alt ist, nimmt ihn MGM mit einem Wochengehalt von 35 US-Dollar unter Vertrag, und es entsteht eine besondere Zusammengehörigkeit zwischen dem jungen Mann, der immer noch am Tod seines Vaters ein Jahr zuvor knabbert und dem er auf dem Sterbebett versprach: «Alles, was ich tue, will ich gut machen – für dich und Mutter.» Er ist jetzt nicht mehr Arly, sondern Robert Taylor und der Filmstar, der am längsten bei einem einzelnen Studio bleiben wird. Seine erste grosse Rolle, die ihm wie auf den Leib geschneidert ist, spielt er 1935 in «Society Doctor» und im selben Jahr an der Seite von Irene Dunne in «Magnificent Obsession». Es ist sowohl für ihn als auch für Rock Hudson, der später den Hauptdarsteller im Remake des Films verkörpert, ein wichtiger Meilenstein, das erste Dominosteinchen, das den Startschuss für eine fulminante Karriere auslöst.
Tanz auf dem Regenbogen
Trotz seiner Seriosität und überzeugenden Darstellung dramatischer Rollen und Parts versuchen ihn Kritiker, aufgrund seines Äusseren in seiner schauspielerischen Leistung herabzuwürdigen und sein wahres Können nur auf sein gutes Aussehen zu dezimieren. Taylor muss zahlreiche bittere Kritiken einstecken, und MGM beschliesst, ihn in tiefgründigere Rollen schlüpfen zu lassen. In nur einem Jahr dreht er sieben Filme und spielt sich an der Seite von Loretta Young, Janet Gaynor, Barbara Stanwyck, Joan Crawford und insbesondere Greta Garbo zwischen 1935 und 1936 in Filmen wie «Frauenehre», «Kleinstadtmädel», «Zwischen Hass und Liebe», «The Gorgeous Hussy» und «Die Kameliendame» in die Herzen der Zuschauer und in die Schauspieler-Elite. Er ist der berühmteste Schauspieler seiner Zeit, der wie ein Komet eingeschlagen hat, und sein rasanter Ruhm zum Topstar dermassen spektakulär, dass die Londoner Zeitung «The Observer» im Jahresrückblick schreibt: «1936 wird als das Jahr des Spanischen Bürgerkriegs, der Abdankung des englischen Königs und von Robert Taylor in Erinnerung bleiben.»
Speziell in den ersten fünf Jahren seiner Karriere bieten sich Robert Taylor, dem führenden männlichen Darsteller Hollywoods, zahlreiche Möglichkeiten, ein breites Spektrum romantischer Charaktere zu erforschen. Sei es als junger Offizier, Arzt, als mit Komplexen behafteter Lee Sheridan in «A Yank at Oxford» (1938), als Boxer Tommy McCoy in «The Crowd Roars» (1938) oder als zynischer Südstaaten-Gentleman Blake Cantrell in «Stand Up and Fight» (1939). In den 1940ern verändert sich das Bild des ewig romantischen Liebeshelden, und er spielt kantigere und düstere Charaktere wie die Hauptrolle in «Billy the Kid» (1941) oder einen smarten Gangster in «Jonny Eager».
Sand im Getriebe
Nach seinem Einsatz als Leutnant der US Navy während des Zweiten Weltkrieges scheint ein Anknüpfen an seinen bisherigen Ruhm erfolglos, und erst mit Rollen in monumentalen Megaproduktionen wie «Quo Vadis», «Ivanhoe», «Die Ritter der Tafelrunde» oder «The Adventure of Quentin Durward» spielt er sich wieder an die Spitze des Erfolgs. Doch der Zahn der Zeit und sein übermässiger Zigarettenkonsum nagen am Aussehen und der Gesundheit des ehemaligen Frauenschwarms. Als Robert Taylor 1969 an Lungenkrebs stirbt, hält sein Freund Ronald Reagan die Trauerrede: «Er war mehr als nur ein hübscher Junge … Er war ein Mann, der seinen Beruf respektierte, und er war ein Meister darin …»
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