Den ganzen Sommer lang
- 10. Juli 2012
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Für Amerikas Band Nummer 1, die Beach Boys, gibt es in diesem Sommer gleich doppelten Anlass zur Freude: Neben dem 70. Geburtstag ihres musikalischen Leiters, Brian Wilson, steht auch noch das 50. Bandjubiläum ins Haus, das mit einem neuen Album und einer grossen Welttournee begangen wird. Die Beach Boys sind längst eine Institution. Schon seit fünfzig Jahren gehören sie zu Amerika wie Hamburger und Coca-Cola. Sie werden mittlerweile von Grosseltern, Eltern und Enkeln gleichermassen gehört. Stücke wie «Help Me, Rhonda», «California Girls» oder «Good Vibrations» verbinden die Generationen und sind immer noch in der Lage, auf viele Gesichter ein Lächeln zu zaubern, egal, ob sieben Jahre alt oder siebzig. In den USA wurde es bereits zu Beginn der 80er-Jahre zur Tradition, dass die Gruppe am Unabhängigkeitstag grosse Open-Air-Konzerte für die ganze Nation spielte. Am 4. Juli 1985 schafften sie es sogar ins Guinness-Buch der Rekorde, als sie erst vor einer Million Menschen in Philadelphia auftraten und dann noch mal am Abend vor 750’000 Zuschauern in Washington. Umso überraschender nimmt sich dieser Welterfolg aus, wenn man weiss, dass alles mit einem einzelnen Jungen begann, der unter der Bettdecke heimlich dem frühen Rock ’n’ Roll aus seinem Transistorradio lauschte.
Von den kalifornischen Suburbs in die Welt
Geboren wurde er am 20. Juni 1942 als Brian Douglas Wilson. Er war der älteste von drei Brüdern, die im kalifornischen Hawthorne, einer Kleinstadt vor den Toren Los Angeles’, aufwuchsen. Das Haus der Familie lag fünf Meilen vom Pazifischen Ozean entfernt. Dort trieb sich als Teenager oft der mittlere Bruder, Dennis, herum, weil er erkannte, dass man am Strand leichter Mädchen kennen lernen konnte. Sein grosser Bruder Brian zeigte lieber auf dem Sportplatz, was in ihm steckte. Er war Quarterback der Football-Schulmannschaft, betrieb Leichtathletik und spielte Baseball. Erstaunlicherweise waren all diese Aktivitäten aber nicht die grosse Leidenschaft der ausgemachten Sportskanone. Sein Herz gehörte der Musik. Er sang im Schul- und Kirchenchor, doch das reichte ihm nicht. Um immer jemanden zu haben, mit dem er gemeinsam musizieren konnte, brachte er seinen beiden Brüdern, Carl und Dennis, mehrstimmigen Harmoniegesang bei. Immer abends vor dem Zubettgehen übten sie.
Nach Schulschluss verbrachte Brian seine Nachmittage am liebsten am Klavier, wo er sich nach Gehör autodidaktisch die Lieder der damals populären Gesangsgruppe The Four Freshmen beibrachte. An seinem 16. Geburtstag schenkten die Eltern ihm ein kleines Aufnahmegerät. Nun gab es für Brian kein Halten mehr.
Surfin’ USA
Sein jüngster Bruder Carl war inzwischen ganz vernarrt in die Musik Chuck Berrys und übte in der Garage E-Gitarre. Immer häufiger kam auch der Cousin der Jungs, Mike Love, vorbei und sang zusammen mit ihnen.
Gemeinsam gründeten sie ihre erste Band, «Carl and the Passions». Nach einem Auftritt in der Schule kam Brians Kollege aus der Football-Mannschaft, Al Jardine, auf sie zu und erklärte, er würde gern mitmachen. Damit war der harte Kern der späteren Beach Boys komplett.
Im Herbst 1960 schrieb sich Brian am College für ein Psychologiestudium ein, doch insgeheim träumte er noch immer davon, Musiker zu werden. Er fing an, erste eigene Melodien auf dem Klavier zu entwickeln, die in ihren Arrangements bereits erstaunlich ausgereift waren.
Brian, Carl und Dennis gründeten gemeinsam mit Mike Love und Al Jardine in den Sommerferien des Jahres 1961 die Band «The Pendletones». Als die Eltern der Wilson-Brüder für ein langes Wochenende aus der Stadt waren, nahm Brian das für Notfälle im Haus gelassene Geld und mietete davon einen Verstärker, ein Mikrofon und einen Bass. Die nächsten Tage übten die Jungs wie verrückt und konnten den erstaunten Eltern bei deren Rückkehr einen vollständig ausgearbeiteten eigenen Song präsentieren: «Surfin’».
Vater Murry war davon so beeindruckt, dass er sich überreden liess, den Jungs ihre erste professionelle Aufnahme in einem Tonstudio zu finanzieren. «Surfin’» verband nicht nur den Gitarrensound Chuck Berrys mit dem perfekten Harmoniegesang der Four Freshmen, sondern besass thematisch auch eine ganz eigene Note. Dennis hatte Brian so lange in den Ohren gelegen, bis dieser einwilligte, ein Lied über das neue Phänomen des Surfens zu schreiben. Dies wurde soeben erst an den Stränden Südkaliforniens populär und bei den Teenagern zu einer grossen, aufregenden Sache. Im Umfeld der Surfer bildete sich eine eigene Szene heraus, die zu einer der ersten amerikanischen Subkulturen führte. «Surfin’» erschien bei dem kleinen lokalen Plattenlabel Candix Records und sorgte im Grossraum Los Angeles bei den Jugendlichen für helle Begeisterung. Als einer der ersten Songs überhaupt thematisierte er die Leidenschaft so vieler fürs Wellenreiten.Ohne das Wissen der Pendletones hatte ein Candix-Mitarbeiter, der ein bisschen von Marketing verstand, für die Single den Namen der Gruppe geändert; «Surfin’» wurde so auf einmal zu einem Stück der «Beach Boys». Die Band, die im Bewusstsein von Millionen Menschen weltweit untrennbar mit Kalifornien, Sommer, Strand und Meer verbunden ist, war geboren. In L.A. und Umgebung verkaufte sich «Surfin’» so gut, dass der Song sogar auf einem beachtlichen 75. Platz in den nationalen Single-Charts landete – und das, obwohl an der Ostküste oder im Mittleren Westen zu diesem Zeitpunkt noch nie ein Mensch vom Surfen gehört hatte.
Fun, Fun, Fun
Von nun an ging es steil bergauf: Die Jungs spielten im Vorprogramm von Ike & Tina Turner, legten mit «Surfin’ Safari» einen noch grösseren Hit nach und landeten schlussendlich im Sommer 1962 bei Capitol Records, jener Firma, die zur damaligen Zeit unter anderem die Heimat von Frank Sinatra war. Für die Nicht-Kalifornier, also eben alle Menschen, die leider keinen Ozean direkt vor der Haustür hatten, schrieb Brian Wilson zusätzlich Lieder übers Autofahren wie «Fun, Fun, Fun» oder «I Get Around».
Diese Nummern eigneten sich besonders gut zum Cruisen, jener Freizeitbeschäftigung der Teenager im ganzen Land, bei der man entweder mit dem eigenen oder aber dem Auto der Eltern am Wochenende in Schrittgeschwindigkeit über die Main Streets seiner Stadt fuhr, dabei Musik hörte und versuchte, Mädchen zu beeindrucken.
Eine wunderschöne Hommage ans Cruisen sollte zehn Jahre später der «Krieg der Sterne»-Regisseur George Lucas mit seinem Film «American Graffiti» abliefern und es dadurch unsterblich machen. Auf dem Soundtrack des Films waren, neben Buddy Holly und anderen Rock ’n’ Rollern, natürlich auch die Beach Boys vertreten mit ihren unbeschwerten Hymnen auf die Jugend.
Die frühen 60er waren in den USA eine Zeit voller Hoffnung. Erste Schatten warf erst die Ermordung von Präsident Kennedy im Herbst 1963 auf den amerikanischen Traum. Auch auf ihren späteren Alben versuchten die Beach Boys sowohl musikalisch als auch thematisch immer wieder an jenen magischen Ort der Jugendzeit zurückzukehren: den Strand, an dem in warmen Sommernächten alles möglich schien.
Shortcut
Befreundete Rivalen
Die Beach Boys waren so lange die grösste Band in den USA, bis die Beatles auftauchten. Im Zuge der «British Invasion» 1964 entwickelte sich ein Wettstreit zwischen den Gruppen, der beide befruchten sollte. Um mit der neuen Konkurrenz mithalten zu können, grub sich Brian Wilson regelrecht im Studio ein und konzentrierte sich ganz aufs Schreiben und Produzieren. Als er 1965 zum ersten Mal «Rubber Soul» hörte, ein für sein Dafürhalten perfektes Album ohne jedes Füllmaterial, entschloss er sich, dies zu toppen. Heraus kam «Pet Sounds», das mittlerweile als eins der grössten Alben aller Zeiten gilt. Nun waren die Beatles wieder am Zug und antworteten ihrerseits mit «Sgt. Pepper’s». Besonders Paul McCartney und Brian Wilson brachten stets ihre gegenseitige Wertschätzung zum Ausdruck. Es war McCartney, der die Laudatio auf Wilson hielt, als dieser in die Songwriters Hall of Fame aufgenommen wurde. Auf dem 2004er-Soloalbum Wilsons «Gettin’ in Over My Head» sangen die beiden erstmals im Duett.