Das Ziel heisst Le Mans
- 28. März 2013
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Vor nunmehr 90 Jahren wurde die Materialschlacht im Département de la Sarthe erstmals ausgetragen. Triumphe und Tragödien machten die «24 Stunden» zu einem der bedeutendsten Langstreckenrennen der Welt. VECTURA blickt zurück, bevor im Frühsommer die 81. Auflage stattfindet Ja früher, da gab es viele prominente Langstreckenrennen. Man denke nur an die Targa Florio auf Sizilien, die Mille Miglia, die Tourist-Trophy-Rennen auf den Britischen Inseln oder die mexikanische Carrera Panamericana. Und doch sind aus jener Epoche bis heute nur die 24 Stunden von Le Mans übrig geblieben.
Die wurden am 26./27. Mai 1923 erstmals ausgetragen und das kam so: Im Oktober 1922 hatte sich die «Crème de l’Automobile» im Grand Palais des Champs-Élysées zum Pariser Automobilsalon getroffen. Am Stand der Firma Rudge-Withworth fanden sich deren Repräsentant Emile Coquille, der renommierte französische Fachjournalist Charles Faroux sowie Georges Durant, der Generalsekretär des ACO (Automobile Club de l’Ouest) aus Le Mans, ein. In den Köpfen dieser Männer spukte der Gedanke eines grossartigen Rennens, das in seiner Art aussergewöhnlich sein sollte. Faroux dachte an einen Wettbewerb, dessen Charakter den einstigen Monsterfahrten von Stadt zu Stadt zu entsprechen hatte, wie sie in den Urzeiten des Automobils auf unserem Kontinent liefen. Er schlug schliesslich ein Nachtrennen über sechs Stunden vor, in der Absicht, dadurch die Beleuchtung der Fahrzeuge auf eine interessante «Feuerprobe» zu stellen. Coquille war von der Idee begeistert und fügte bei, dass seine Firma für einen derartigen Wettbewerb einen grossen Pokal stiften würde. Schliesslich fragte Durant: «Warum denn nicht ein Rennen über 24 Stunden?» Die Idee schlug ein.
Damit waren die «24 Heures du Mans», welche heuer ihren 90. Geburtstag feiern und nun am 22./23. Juni auch zum 81. Mal stattfinden werden, geboren. Regie führte natürlich der ACO und dabei ist es bis heute geblieben: Keinem Veranstalter, nicht mal FIA-Impresario Bernie Ecclestone, ist es gelungen, etwas daran zu ändern. 24-Stunden-Prüfungen waren damals an sich nichts Neues, in den Vereinigten Staaten hatte man solche Wettbewerbe – auf Pferderennbahnen – schon zwischen 1905 und 1910 abgehalten.
Wagen wie im Katalog
Es war Charles Faroux, der die Basis für das erste Le-Mans-Reglement definierte: Personenwagen mussten ihrer Beschreibung im Fabrikkatalog entsprechen, bei einem Hubraum unter 1100 cm3 genügten zwei Sitzplätze, Autos mit grösserem Motor mussten vier Personen aufnehmen können. Werkzeug und Ersatzteile hatten sich an Bord zu befinden, lediglich die Ersatzreifen konnten an den Boxen deponiert werden. In den ersten Jahren wurde in Le Mans noch «normal» gestartet, das bedeutete je zwei und zwei Fahrzeuge hintereinander. Bei der zweiten Auflage 1924 mussten Wagen mit Faltdach mindestens zwanzig Runden mit hochgezogener «Capote» zurücklegen. Gegen Ende der 30er-Jahre brauchten auch grossvolumigere Autos nicht mehr vierplätzig konzipiert zu sein – es war eine Epoche, in der immer mehr Vollblutsportwagen antraten.
Diverse Streckenkombinationen
Als Rennbahn wählte der organisierende Club eine 17,26 Kilometer lange Kombination bestehender Strassen, wobei ein kleiner Teil des Circuits durch ein Aussenquartier der Stadt Le Mans führte. Diese Verlängerung mit der Spitzkehre am Platz von Pontlieue wurde bis 1928 befahren, dann schnitt man den «Stadtkurs» aus Sicherheitsgründen ab, womit sich eine Runde auf 16,36 Kilometer verkürzte. In die Rundstrecke einbezogen war auch ein Teil der Route Nationale Nr. 158 (Le Mans–Tours), welche im Verlaufe der Jahre als «ligne droite des Hunaudières» einen fast legendären Ruhm erlangen sollte. Bis 1925 standen an dieser ursprünglich noch einige leichte Biegungen enthaltenden, holprigen Streckenpartie ohne festen Belag die Boxen. Im Jahre 1932 erhielt der Kurs mehr oder weniger seine endgültige Form, indem man zwischen der späteren Zielgeraden (gleich nach den Tribünen) und der Kurve von Tertre Rouge (Beginn der Geraden von Hunaudières) ein Verbindungsstück mit eingebautem «S» vorsah. Die Bahn war nun 13,49 Kilometer lang. Diese Rundenlänge sollte erst wieder 1968 modifiziert werden, als man unmittelbar vor dem Boxenbereich – um das Tempo auf der Zielgeraden zu drosseln – die Ford-Kurve (eigentlich eine Schikane) einbaute. Vier Jahre später wurde die Anlage noch mit einer zusätzlichen Schlaufe zwischen der berüchtigten Partie bei Maison Blanche und den Tribünen versehen. 1990 büsste Le Mans einen Teil seiner Legende ein, denn die Gerade von Hunaudières, wo man im Training manchmal Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 400 km/h registrierte, musste aus Sicherheitsgründen durch den Einbau zweier Schikanen oder Bremskurven «entschärft» werden, was bei den Puristen für Polemik sorgte. Die Strecke war damit neu 13,6 Kilometer lang.
Die 24 Stunden von Le Mans sind vielen noch wegen der Katastrophe vom 11. Juni 1955 in Erinnerung geblieben, als zwei Fahrzeuge bei hohem Tempo auf der Zielgeraden kollidierten, wobei eines in den Zuschauerraum flog und dort explodierte. Über achtzig Menschen kamen bei diesem Unfall ums Leben. Das Unglück von Le Mans löste weltweit Kritik am Rennsport aus; viele Veranstaltungen wurden daraufhin abgesagt. In der Schweiz hat man Rundstreckenrennen seither sogar verboten (siehe VECTURA #5). Inzwischen ist sehr viel für die Sicherheit von Akteuren und Publikum getan worden, die Fortschritte sind zweifellos gross.
Spurt zum Auto
Berühmt war früher der sogenannte Le-Mans-Start, bei dem die Sportwagen auf der rechten Seite der Startgeraden in einer langen Reihe und schräg zur Fahrbahn aufgestellt wurden. Auf der anderen Seite der Piste gingen die Fahrer in einem kleinen weissen Kreis mit Startnummer in Stellung, um dann nach dem Senken des Tricolore zu ihren Autos zu sprinten. Dieser kurze Spurt der Le-Mans-Fahrer gehörte einfach zum Bild dieser Veranstaltung. Als dann die Sicherheitsgurten mehr und mehr aufkamen und schliesslich sogar zum Obligatorium erhoben wurden, bedeutete dies 1970 das Aus für die originelle Startform: Ab sofort mussten sich die Konkurrenten nebeneinander auf der rechten Seite aufstellen, wobei die Fahrer bereits fest angeschnallt hinter dem Steuer zu sitzen hatten.
1971 folgte der Start mit Anlaufrunde (Indy-Start) hinter einem Pacecar, ganz so wie in der Formel 1. Favorisierte Teilnehmer legten Wert darauf, im ersten Bogen gleich nach dem Start, dort, wo die Strecke unter der berühmten Dunlop-Brücke hindurchführt, an der Spitze des Feldes zu liegen: Dann bestand eine gute Chance, sein Bild in den Sonntagsausgaben der Zeitungen bewundern zu können. Es gab auch noch einen andern Trick, um sich Publizität zu verschaffen: Manchmal hielt ein Konkurrent (meistens aus dem Hinterfeld) schon nach der ersten Rennrunde kurzfristig an den Boxen an, in der Hoffnung, eine «Abwechslung» suchende TV-Kamera nehme ihn zur grossen Freude des auf der Karosserie werbenden Sponsors aufs Korn. Bis und mit 1963 erfolgte die Startreihenfolge noch nach Hubraum, danach war die Qualifikationszeit für die Reihenfolge bestimmend.
Volksfest-Charakter
Keine Frage: Le Mans war auch ein Publikumserfolg und ist es bis heute geblieben. Zusammen mit den 500 Meilen von Indianapolis und dem Grand Prix von Monaco zählen die «24 Stunden» zu den weltweit populärsten Rennsportveranstaltungen überhaupt. Für eine Marke brachte und bringt ein Sieg an der Sarthe ziemlich viel, er bedeutet Popularität und Prestige. Es wurde immer wieder festgestellt, dass der Le-Mans-Triumph eines Herstellers mehr Aufsehen erregt als der Gewinn einer Markenweltmeisterschaft. Der Anlass war und ist auch stets eine Art Volksfest gigantischen Ausmasses – mit einer Präsenz um die 200 000 Zuschauer, welche die Rennstrecke während zweier Tage und einer Nacht säumen. Karusselle, Schaubuden, Würstchenstände, Diskotheken, käufliche Damen – auf dem weiten Areal ist für Amüsement jeglicher Art gesorgt. Viele Schlachtenbummler legen sich am Sonntagmorgen übermüdet ins Gras und gönnen sich ein Nickerchen.
Markenclubs und andere anreisende Vereinigungen pflegen übrigens ganze Parkfelder im Voraus zu reservieren. Man kann Flächen voller Alfa Romeo, Aston Martin, Bugatti, Ferrari, Jaguar, MG oder Porsche beobachten. Traditionell kommen stets viele Briten über den Ärmelkanal, um live dabei zu sein. Früher trafen sie sich schon unter der Woche im Restaurant des Hunaudières, wo der Whisky reichlich floss und es hoch herging – bis der Alkoholausschank dort schliesslich eingestellt worden ist.
Moderne Zeiten
Wer die aktuelle Anlage kennt, mag kaum glauben, dass die Zuschauer früher hinter Bretterzäunen direkt an der Strasse standen. Nach dem erwähnten Unfall von 1955 wurde die Bahn im Zielbereich wesentlich verbreitert und – weiter zurückversetzt – eine neue Boxengasse gebaut. 1991 ersetzte man sie schliesslich durch ein modernes und riesiges Prachtgebäude, das einem grossen Dampfschiff ähnlich sieht und von Nostalgikern etwas spöttisch als «Flugzeugträger» tituliert wird. Hinzu kam ein grosser Kontrollturm, welcher der Rennleitung einen hervorragenden Überblick bietet.
Zuvor mussten die Journalisten ihre Berichte noch an den Pulten einer seitlich offenen und an der Bahn-Aussenseite stehenden Tribüne in ihre Schreibgeräte tippen. Im einstigen Schreibmaschinenzeitalter flatterten die zu beschriftenden Blätter nervenzermürbend im Wind und wurden von findigen Chronisten per Wäscheklammer beschwert. Wer sich direkt in den Boxen informieren wollte, musste über die Dunlop-Brücke und einen weiten Umweg durch die Volksmassen in Kauf nehmen. Die Autos der Presseleute waren hinter ihrer Tribüne entlang einer Betonwand parkiert, jeder bekam seine Nummer schön zugeteilt. Allerdings pflegten etliche Zuschauer in der Nacht ihre Notdurft, zwischen den Autos gebückt, unter freiem Himmel zu verrichten.
Vom «Flugzeugträger» aus können die Berichterstatter das Geschehen inzwischen bequem durch grosse Fenster über den Boxen beobachten und in geräumigen, klimatisierten sowie mit Bildschirmen ausgestatteten Pressesälen arbeiten. Eine Treppe führt zu den zwei Stockwerke tiefer liegenden Boxen hinab. Le Mans gönnte sich sogar ein eigenes Rennjournal, das von der Lokalzeitung «Le Maine Libre» herausgegeben wird, während des Rennens mehrmals erscheint und über das Geschehen informiert.
Marken-Erfolgsphasen
Als «weltweit schnellste Lastwagen» bezeichnete Ettore Bugatti seinerzeit die Bentley mit spöttischem Unterton, aber die imposant-voluminösen Vier- und Sechszylinder (teilweise mit Kompressor) aus England, pilotiert von den legendären «Bentley Boys», dominierten in der zweiten Hälfte der 20er-Jahre das Geschehen. Diese Rolle übernahmen Anfang der 30er-Jahre die aufgeladenen Alfa Romeo 8C 2300. Die folgenden Jahre wurden wechselvoll durch Siege von Lagonda, Bugatti und Delahaye gekennzeichnet. Nach dem Krieg lief das vom Präsidenten der Republik, Vincent Auriol, gestartete Rennen erst 1949 wieder an. Mit dem Ferrari 166 MM Touring Chassisnummer 008, pilotiert von Luigi Chinetti/Lord Selsdon, siegte exakt dasjenige Auto, welches zwei Monate zuvor unter Clemente Biondetti die Mille Miglia gewonnen hatte. Es folgten die 50er-Jahre, in denen die Jaguar C- und D-Type mit ihren Reihensechszylindern die ersten Plätze holten. Der Sieg eines C-Type brachte 1953 zugleich den ersten bedeutenden Rennerfolg mit Scheibenbremsen.
Ab 1957 betrachtete es der Veranstalter für notwendig, das Starterfeld auf 55 Wagen zu limitieren, weil die Liste der Teilnahmekandidaten laufend länger geworden war. Ende der 50er-Jahre setzte definitiv die Phase der V12-Ferrari Typ 250, 330 und 275 ein. 1963 gewann erstmals ein Wagen mit Mittelmotor (Ferrari 250 P). 1964 betrat Detroit-Gigant Ford die Kampfarena, aber erst zwei Jahre später sollte die Erfolgsserie für die englisch-amerikanischen V8-Konstruktionen ihren Anfang nehmen. 1966 fiel sogar Henry Ford II die Ehre zu, die Startflagge zu schwingen – diese Ehre hatten später auch Gianni Agnelli oder Sergio Pininfarina.
1969 sah das vielleicht spektakulärste Finish – Jacky Ickx siegte auf Ford nur 300 Meter vor Hans Hermann auf Porsche – normalerweise beträgt der Abstand mehrere Runden. Neben drei Erfolgen der französischen Matra V12 standen die 70er-Jahre vorwiegend im Zeichen der Porsche, was meistens auch in den 80ern mit den schier unschlagbaren 956 und 962 der Fall war. Ein Sauber mit Mercedes-V8-Triebwerk eroberte 1989 den obersten Podestplatz. Zwei Jahre später dann die Überraschung – es gewann ein japanischer Mazda mit Wankelmotor! Die 90er-Jahre sahen wieder verschiedene Sieger; zweimal platzierte Peugeot einen Erfolg, die sonst im Formel-1-Bereich aktive Marke McLaren gewann 1995, viel Beachtung fand 1999 der BMW-Sieg, weil er praktisch als Eintagsfliege der Bayern zu bewerten war. Danach setzte die lange Phase der Audi-Dominanz ein, die praktisch bis in die heutige Zeit reicht und bloss 2009 von einem Peugeot-Triumph unterbrochen wurde. Zwar hat 2003 ein Bentley Speed 8 gesiegt, doch der entsprach konstruktiv weitgehend dem Audi. 2006 holten die Ingolstädter dann den ersten Le-Mans-Erfolg mit Dieselmotor.
25 Hersteller im Goldenen Buch In den 80 zwischen 1923 und 2012 ausgetragenen Auflagen des 24-Stunden-Rennens von Le Mans, das von 1953 bis 1974 auch für die Markenweltmeisterschaft gezählt hat, gingen 25 Marken im Gesamtklassement siegreich hervor. Angeführt wird die Erfolgsliste von Porsche mit 13 Siegen (zwischen 1970 und 1994) vor Audi mit 11 (2000–2012), Ferrari mit 9 (1949–1965), Jaguar mit 7 (1951–1990), Bentley mit 6 (1924–2003) sowie Alfa Romeo (1931–1934) und Ford (1966–1969) mit jeweils 4. Matra holte zwischen 1972 und ’74 drei Pokale, ebenso Peugeot (1992–2009). Je zweimal gewonnen haben Lorraine-Dietrich, Bugatti und TWR-Porsche. Auf je einen Erfolg kamen Chénard-Walcker, Lagonda, Delahaye, Talbot, Aston Martin, Mercedes, Mirage, Renault, Mazda, Sauber-Mercedes, BMW, Rondeau und McLaren.
Parallel zum Gesamtsieg wurde 1939 das sogenannte Indexklassement eingeführt; relevant wurde es indes erst in den 50er-Jahren: In jeder Hubraumklasse definierte man aufgrund von Erfahrungswerten eine zurückzulegende Mindestdistanz, die den Index 1 ergab. Wer diesen Wert mit dem höchsten Faktor übertraf, war Indexsieger, was in den meisten Fällen mit eher kleinvolumigen Wagen glückte. Dieses Indexklassement war nach dem Krieg vor allem auf französische Wagen zugeschnitten, weil es damals viele kleinvolumige Rennkonstruktionen mit getunten Motoren von Simca, Renault, Peugeot oder Panhard gab. Andere Häuser wie Lotus machten sich diese Regelung zunutze und holten gleich mehrere Indextitel.
Prominente Namen
Vor einigen Jahrzehnten haben auch Grand-Prix-Piloten regelmässig an den 24 Stunden von Le Mans teilgenommen. Grössen wie Alberto Ascari, Giuseppe Farina, Juan Manuel Fangio, Stirling Moss, Jim Clark oder Jackie Stewart gingen auf dem Circuit im Département de la Sarthe an den Start. Seit den 1980ern sucht man in den Startlisten jedoch vergeblich nach Formel-1-Koryphäen: Meistens schliessen ihre Teamverträge ein Langstreckenrennen aus; davon abgesehen lässt die ständig zunehmende GP-Zahl (aktuell 20, bis vor ein paar Jahren kamen noch viele Tests dazu) kaum Spielraum übrig. Immerhin, im Goldenen Buch der 24 Stunden von Le Mans figurieren auch die Namen prominenter Piloten aus dem GP-Bereich. 1933 siegte der legendäre Tazio Nuvolari auf Alfa Romeo, 1937 und 1939 gewann Jean-Pierre Wimille auf Bugatti, 1952 war es Hermann Lang auf Mercedes (Europameister 1939), 1954 führte Froilan Gonzalez (WM-Zweiter 1954) Ferrari zum Sieg, 1955 überquerte Mike Hawthorn (Weltmeister 1958) auf Jaguar als Erster die Zielgerade, zwischen 1958 und 1962 sass Phil Hill (Weltmeister 1961) dreimal im Cockpit der siegreichen Ferrari, auch Jochen Rindt (Weltmeister 1970) führte 1965 einen Ferrari zum Titel. 1967 war das Jahr der Ford-Piloten Dan Gurney (vierfacher GP-Sieger) und A.J. Foyt (vierfacher Indianapolis-Sieger), es folgten die Serienerfolge von Jacky Ickx auf Ford, Mirage und Porsche (sechsfacher Le-Mans-Sieger und achtfacher GP-Sieger).
Helden der Ausdauer
Früher konnte ein Fahrer beliebig lange am Steuer sitzen, ehe er vom Teamkollegen abgelöst wurde. Und es gab auch besonders ehrgeizige Piloten, welche das 24-Stunden-Pensum unbedingt solo zu bewältigen versuchten. Der Franzose Louis Rosier, der 1950 mit seinem Talbot T 26 GS gewann, liess sich nur während zwei bis drei Runden von seinem Sohn Jean-Louis ablösen. Auch sein Landsmann Pierre Levegh wollte es 1952 wissen und fuhr ohne Ablösung, aber 70 Minuten vor Ablauf der 24. Stunde, als er das Rennen mit seinem Talbot T 26 GS mit vier Runden Vorsprung auf die Mercedes 300 SL anführte, erlitt sein Sechszylinder einen schweren Defekt – und die Stuttgarter fuhren daraufhin einen Doppelsieg nach Hause.
Neue Regeln
Damals war ein 24-stündiger Einsatz eines Piloten noch denkbar, weil die Flieh- und Querkräfte in den Kurven, beim Beschleunigen und Bremsen nicht so horrend hoch waren. Ganz anders sieht es bei modernen Konstruktionen aus, die via Aerodynamik einen starken Abtrieb erzeugen und auch über sehr leistungsstarke Bremsen verfügen. Schon die Heldentat Leveghs hatte die Verantwortlichen dazu veranlasst, Dauereinsätze der Piloten auf ein erträgliches Mass zu reduzieren: Ab 1953 durften die Fahrer während maximal 80 Runden ununterbrochen am Steuer sitzen; für das ganze Rennen war der Einsatz einzelner Piloten auf 18 Stunden limitiert. 1956 wurden es 72 Runden oder 14 Stunden insgesamt, 1960 waren nur noch 52 Umläufe am Stück erlaubt. Schon 1953 hatte man im Reglement erstmals ausdrücklich festgehalten, dass ein Zusatzfahrer (also ein dritter Pilot) teilnahmeberechtigt sei. Ab 1970 durfte in Le Mans ein Fahrer maximal bis zu vier Stunden lang an einem Stück pilotieren, dann hatte die Ablösung zu erfolgen. Kamen früher pro Fahrzeug in der Regel nur zwei Piloten zum Einsatz, waren es ab 1973 immer öfter drei Mann; heute sind selbst vier Fahrer keine Seltenheit. Auch die zurückzulegende Mindestdistanz zwischen zwei Tankstopps ist ab 1954 limitiert worden: Vorgeschrieben waren nun 30 Runden oder 400,7 Kilometer – eine Regelung, die oft geändert werden sollte. Und es gab noch weitere Vorschriften: Um ausschliesslich noch einsatzfähige Autos ins Klassement aufzunehmen, wurde schon in den fünfziger Jahren entschieden, dass ein Wagen seine letzte Rennrunde in maximal 20 Minuten zu bewältigen hatte – ab 1964 waren es noch 15 Minuten.
Viele Kategorien
Einen separaten ausführlichen Beitrag ergäbe die Beschreibung aller im Verlaufe der Jahrzehnte ausgeschriebenen Wagenkategorien: Tourenwagen, Sportwagen, Gran-Turismo-Wagen, Sportprototypen bis hin zu den heutigen LMP1, LMP2, GTE oder GT1 mit den vielen Gewichts- oder Hubraumlimiten, mit oder ohne Aufladung. Aber das ist eine andere Geschichte.
Andere Bräuche
Ab 1964 bereitete Ford mit seinen GT 40 und den 1965/66 folgenden GT Mark II und GT Mark IV seine mehrjährige Le-Mans-Dominanz vor; schon 1966 fuhr der Gigant aus Detroit erstmals ganz oben aufs Treppchen. Die Amerikaner betrieben einen viel grösseren Aufwand als andere; ihre imposanten und besteingerichteten Werkstattwagen im Fahrerlager sorgten für neue Dimensionen. Ford war auch das erste Team, das sogar einen Küchenwagen in den Paddock stellte, um die umfangreiche und einheitlich gekleidete Mannschaft an Ort und Stelle zu verpflegen. Die meisten Mannschaften zogen sich damals noch in reservierte Garagen von Le Mans und Umgebung zurück. Die offiziellen Ferrari wurden beispielsweise in einer Halle des einstigen Schlachthofes gewartet. Immer wieder mussten die Mechaniker neugierige Buben oder Autogrammjäger zurückweisen. Der Porsche-Tross nistete sich jahrelang bei einem Garagier in der kleinen Ortschaft Téloché ein, die über die Hunaudières-Gerade erreicht werden konnte. Der Garagenbesitzer stellte den Männern aus Zuffenhausen gegen gutes Geld nicht bloss die Werkstatthalle mit dem angrenzenden Hof, sondern auch gleich sein ganzes Haus zur Verfügung. Hier wohnten die Mechaniker, während die Familie des Garagiers während der Rennwoche bei Verwandten und Freunden Unterschlupf fand.
Das waren die guten alten Le-Mans-Zeiten. Heute ist alles viel rationeller, indem die Teams ihre Werkstattwagen und Transporter im Fahrerlager hinter dem «Flugzeugträger» in Reih und Glied auf genau bezeichneten Feldern aufstellen: Dort wird dann während mehreren Tagen gearbeitet und gegessen. John Wyer, der erfolgreiche Aston-Martin- und Gulf-Teamchef, pflegte jahrelang während der Le-Mans-Woche (die Wagenabnahme begann schon am Dienstag vor dem Rennen) seine Zelte in der Nähe von Arnage in einer Werkstatt neben dem noblen Hotel de France aufzuschlagen. Heute unvorstellbar: In den Fünfzigerjahren fuhren etliche Engländer wie Jaguar und Aston Martin gut und gerne mit ihren Einsatzfahrzeugen nach Le Mans. Schön ist der noch teilweise zelebrierte Brauch, sich am Abend vor dem Rennen auf einem Platz im Stadtzentrum einzufinden. In den alten Tagen pflegten verrückte Automobilisten mit ihren privaten Wagen eine Show zu bieten, indem sie wie wild um den Platz kurvten. Von der Polizei wurde das meist stillschweigend toleriert, während das grölende Publikum applaudierte.
Eines hat sich derweil nie geändert: Le Mans, das ist immer noch ein Spektakel der Extraklasse. Nirgendwo sonst lässt sich Motorsport so intensiv erleben wie beim nächtlichen Treiben in der Boxengasse, wenn hektisch getankt oder repariert wird. Wie es sich für einen Vollgas-Thriller gehört, kann sich das Blatt noch in der letzten Stunde wenden. 2013 wird es spannend sein zu sehen, wer in der LMP1-Klasse den souveränen Audi R18 Paroli bieten kann. Wie es am Sonntagnachmittag um 16 Uhr auch ausgehen mag – der Le-Mans-Legende wird dann ein weiteres Kapitel hinzugefügt werden.
Fotos: Alain Pruvost, Collection Maniago, Werk