
Das wilde Land des roten Drachens – Wales
- 10. Juli 2012
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«Croeso iGymru!» «Willkommen in Wales!», heisst es in der alten keltischen Landessprache. Mit seiner rauen Schönheit, den grünen, sanften Hügeln und schroffen Klippen bezaubert dieses kleine keltische Land. Selbst Engländer kommentieren das Wetter in Wales mit dem Hinweis, es gebe dort reichlich Niederschläge. Tatsächlich liegen die Regenmengen auf der walisischen Halbinsel weit über denen in Südostengland. Zum Ausgleich scheint aber vor allem an der Westküste besonders oft und lange die Sonne. Doch mit der richtigen Kleidung lässt sich hier noch eine der schönsten Regionen der Britischen Inseln entdecken.
Die Festungen des Burgenkönigs
Reizvolle Gegensätze bestimmen das Landschaftsbild in Wales: hohe Berge und tiefes Meer, sanft gerundete grüne Hügel und schroffe Gipfel, die fast 1000 Meter über weissen Wellenkämmen aufragen, liebliche Sandstrände und raue Klippenszenerien. Hinzu kommt eine Fülle romantischer Burgen, die vom immer wieder aufwallenden zähen Widerstand der Waliser gegen die anglonormannischen Eroberungsversuche erzählen. Die mittelalterlichen Ruinen begeisterten schon die empfindsamen Reisenden des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Sie waren es, welche die Naturschönheit und den Zauber einer von uralten Geschichten durchdrungenen Landschaft entdeckten, wo sich in verwunschenen grünen Tälern verwitterte Abteiruinen verstecken oder auf kahlen Bergkuppen die Mauerreste alter Burgtürme dem Wind trotzen.
Einst Symbol überlegener englischer Militärmacht, heute malerische Ruinen und Besuchermagnet – die Burgen setzen markante Akzente in der walisischen Landschaft. Vor allem der englische König Eduard I. machte sich als Burgenbauer einen Namen. Entlang der Küste von Gwynedd, im Nordwesten von Wales, untermauerte er durch eine Reihe militärarchitektonisch ausgefeilter Festungsanlagen seinen Machtanspruch. Caernarforn Castle war Eduards ehrgeizigstes Projekt: Palast und Festung in einem. Das 1283 in der Nähe des römischen Segontium am Ufer der Menai Strait errichtete Mammut-Castle sollte den englischen König als walisischen Herrscher legitimieren. Mit der sorgfältig inszenierten angeblichen Entdeckung der Gebeine des walisischstämmigen Kaisers Magnus Maximus wurden die walisisch-römischen Wurzeln beschworen wie auch mit dem Bau selbst: Die durch helle Steinbänder strukturierte Fassade war eine Reminiszenz an die Stadtmauer Ost-Roms.
Umgebaute oder restaurierte, ehemals walisische Burgen bilden weitere Glieder in Eduards Burgenkette, zum Beispiel Criccieth. Schluss und Höhepunkt von Eduards Bautätigkeit wurde Beumaris. Vollständig symmetrisch und konzentrisch angelegt, erhebt sie sich noch heute an strategisch wichtiger Stelle über die schmale Menai Strait. Im Schatten der Burg liess der König, wie anderorts, für englische Siedler eine ummauerte Stadt mit rechtwinkligem Strassennetz bauen.
Das Land der Mythen und der Magie
Vieles in Wales ist noch älter als die keltische Kultur, die im fünften Jahrhundert vom Kontinent auf die Britischen Inseln kam. Bis heute hält man im Westen am Althergebrachten fest: In einer Kontinuität, die über Traditionsbewusstsein weit hinausgeht, pflegt man Erinnerungen aus grauer Vorzeit, der Zeit der Megalithbauten, als auf der Insel Anglesey die heiligen Haine der Druiden standen. Überall in Wales kann man der Kraft dieser Vergangenheit nachspüren, die in Sagen und Legenden weiterlebt.
Dichtung und Wahrheit sind in der walisischen Geschichte häufig eng verwoben. Ein gutes Beispiel dafür ist die Artuslegende, die nicht nur den Dichtern in ganz Europa Stoff für literarische Höhenfluge lieferte, sondern auch politischen Zündstoff enthielt. Als Urheber der Artuslegende gilt der Benediktinermönch Geoffrey of Monmouth, der um 1136 die «Historia Regum Britanniae» verfasste, welche die Geschichte der britischen Könige über 1900 Jahre zurückverfolgt. Dabei griff der Kirchenmann weit in die mythische Vorzeit zurück. In der Art, wie hier Legende und Wahrheit gemischt wurden, unterschied sich der Mönch kaum von anderen Geschichtsschreibern der Zeit. Doch wäre die Weltliteratur sehr viel ärmer, hätte sich Geoffrey nicht so ausführlich über jenen König ausgelassen, der um 500 die heidnischen Sachsen in die Flucht geschlagen haben soll.
Geoffreys Verdienst war es vor allem, die Story mit Details aus dem keltischen Sagenschatz angereichert zu haben, besonders die Geschichte von Merlin. Und so sind die Sagen um Artus und seine Tafelrunde, die Suche nach dem Gral, den tapferen Sir Galahad und Artus’ untreuer Gattin Guinevere bis heute ein faszinierender Stoff geblieben – umwabert von den Nebeln von Avalon. Die Unsterblichkeit des legendären Königs und Feldherrn, die bei Geoffrey und später Robert Wace behauptet wird, ist mehr als eine romantische Vorstellung, denn sie barg politischen Zündstoff. Die Angst, eines Tages durch einen keltischen König wieder entthront zu werden, sass tief bei den englischen Königen seit Eduard I. – und sie war nicht ganz unbegründet.
So kann man in Wales perfekt auf den Spuren König Artus’ wandern, die Burgen König Eduards besichtigen und sich in längst vergangenen Zeiten wiederfinden.
Der Waliser Nationalsport
Wer eine ganz andere Seite der Waliser kennenlernen möchte, die der echten harten Kerle, die sie immer schon waren und auch heute noch sind, der sollte unbedingt ein Rugby-Spiel besuchen. Zwar haben die Waliser Rugby nicht erfunden, dennoch ist er der Nationalsport Nummer eins. Sichtbares Zeichen dafür ist das über 70 000 Zuschauer fassende Millennium Stadium in Cardiff, das neben der parallel entstandenen National Assembly for Wales – dem Parlament – und dem Kulturtempel des Welsh Millennium Centre an der Cardiff Bay die «nationale Tridentität» bildet. Südwales gibt als die Rugby-Hochburg des Landes. Die meisten Vereine konzentrieren sich in den ehemaligen Industriestädten. Die Saison beginnt im September und dauert bis kurz nach Ostern.
Wer als Zaungast samstags beim Training auf dem Sportplatz der Vorstadtsiedlung zuschaut, bekommt einen guten Eindruck von dem Spiel. Anders als in England ist Rugby Union in Wales nie der Sport rüpelhafter Privatschulzöglinge gewesen. Ende des 19. Jahrhunderts war das Mannschaftsspiel in den Arbeitersiedlungen der Valleys vielmehr Ventil für den Frust der hart arbeitenden Kumpel. Die Bergwerksherren und andere Unternehmer förderten den Sport gezielt. Sie sahen es gerne, wenn sich die Arbeiter auf dem Spielfeld abreagierten, anstatt in sozialen Arbeitervereinen womöglich mit revolutionärem Gedankengut in Berührung zu kommen – nach dem Motto: lieber Rugby Union als Trade Union (Gewerkschaft). Zudem stärkte Rugby den Gemeinschaftsgeist, für die Kumpel unter Tage überlebenswichtig. Heute sind die Six Nations Championships, welche von Januar bis April stattfinden, eines der wichtigsten Sportevents in der angelsächsischen Welt.
Shortcut
Merlins Prophezeiung
Im Mittelalter fand die Figur des Merlin als Zauberer und Berater des Königs Eingang in die Artussage. In der alten walisischen Tradition ist Merlin dagegen ein Barde des späten 6. Jahrhunderts, der dem Keltenfürsten Vortigern das Wiedererstarken des Keltentums prophezeit – mit einem Gleichnis: Es tobt ein unsichtbarer Kampf zwischen einem roten und einem weissen Drachen. Zuerst unterliegt der rote Drache (Waliser), um später doch den Sieg über den weissen Drachen (Sachsen) davonzutragen und das Land zurückzuerobern.