
Das «Oomph-Girl»
- 4. Juni 2018
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Auf die Frage, ihre Position in der Filmgeschichte zu beschreiben, antwortet sie: «Es gibt keine. Es wird nur eines dieser Dinger sein, die abgeschrieben werden, um Himmels willen. Es wird nichts bedeuten.» Ann Sheridan stapelt tief, denn sie ist die einzige der sechs Schönheitsköniginnen, die aus einem Beauty-Contest eine Karriere entwickelt und Warner Brothers Nummer-eins-Sexsymbol sowie Pin-up-Girl der 1940er Jahre ist.
Sie ist ein wunderschöner Teenager mit rotgoldenen Locken, Katzenaugen, einem vollen Kussmund in einem ebenmässigen Gesicht und mit einer traumhaften Figur gesegnet. Als Paramount Pictures 1933 den Wettbewerb «Search for Beauty» lancieren, sendet ihre Schwester Kitty heimlich ein Foto von ihr ein. Als Ann ihr Bild in den «Dallas News» sieht und daraus ergeht, sie sei eine der 33 Teilnehmerinnen des Schönheitswettbewerbs, braust sie erbost nach Dallas und herrscht John Rosenfield, den Herausgeber der Zeitung, aufgebracht an, warum man sie ohne ihre Erlaubnis für die Teilnahme am Wettbewerb angemeldet hätte. Ein paar Monate später klingelt das Telefon auf der Ranch der Sheridans. John Rosenfield informiert Ann, sie sei eines von sechs Mädchen, die den Wettbewerb gewonnen haben. Am 15. September 1933 verlässt Ann Texas und fährt, begleitet von ihren Eltern, ihrem Bruder sowie drei Schwestern, nach Hollywood. Der Preis des Wettbewerbs sind Bildschirmtests sowie eine winzige Filmrolle.
Die mit dem Bullen tanzt
Der Erste Weltkrieg tobt bereits seit einem Jahr auf den anderen Kontinenten des Globusses, als Clara Lou Sheridan am 21. Februar 1915 in Denton, einer texanischen Kleinstadt in den USA, geboren wird. Es ist kein verschlafenes Nest wie andere Orte ausserhalb der berühmten US-Metropolen. Nur eine knappe Stunde von Dallas entfernt, weht der Wind der Grossstadt über den Lake Dallas auch nach Denton, das, aufgewertet durch zwei namhafte Hochschulen, alles andere als ein dümmliches Provinzloch ist. Von ihrem Vater G.W. Sheridan, einem Automechaniker, erzählt Clara Lou, er sei ein Ururneffe Philipp Sheridans, eines Offiziers des US-Heeres und Generalleutnant Oberbefehlshaber im Amerikanischen Bürgerkrieg. Auf ihn soll auch die Äusserung «Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer» zurückzuführen sein. Clara Lou ist das jüngste von fünf Kindern, die in einem liebevollen Zuhause auf einer Ranch aufwachsen, fürsorglich umsorgt von ihrer Mutter Lula. Clara Lou ist, wie sie selbst sagt, «rebellisch und wild», ein typisches Texas-Girl, das im Mädchenteam der North Texas State Teacher Basketball spielt, eine Karriere als Lehrerin anstrebt, einen Bullen besser reitet als ein Pferd, jede Blechdose wegballert und präzise in die Mitte eines Fadenkreuzes schiessen kann.
Paramount Pictures versus Warner Brothers
Mit 19 Jahren steht Clara Lou das erste Mal für die Werbekampagne «Search for Beauty» für Paramount Pictures vor der Kamera, unterzeichnet in Hollywood ihren ersten Sechs-Monate-Vertrag für 50 US-Dollar die Woche und spielt ihre erste kleinere Rolle im Film «Wagon Wheels». Paramount Pictures kreieren Rollen, die dazu dienen, ihre sowie die Schönheit der anderen Starlets zur Schau zu stellen, und so wirkt Clara Lou 1934 und 1935 in ein paar Dutzend weiteren Produktionen mit, die eher in die Kategorie B-Movies einzustufen sind. Nachdem eine Aktiengesellschaft sich darüber mokiert, ihr Name sei zu lang und passe nicht in die Fläche der Leuchtreklame, die für ihren nächsten Film «The Milky Way» wirbt, ändert das Studio ihren Namen in Ann Sheridan. Ann missfallen die «Krümel», mit denen man sie füttert, und spielt mit dem Gedanken, wieder nach Texas zurückzukehren. Doch stattdessen feuert sie ihren Agenten Bill Meiklejohn und engagiert einen neuen, Dick Polimer, der ihr eine kleinere Rolle in der Warner-Brothers-Produktion «Sing me a Love Song» beschafft. Der Casting Director Max Arnow ist angetan von ihrem Schauspiel und offeriert ihr einen Sechs-Monate-Vertrag mit einer wöchentlichen Gage von 75 US-Dollar. 1936 wechselt Ann Sheridan zu Warner Brothers, doch die Hoffnung auf grössere Filmrollen zerschlägt sich. Zwei weitere Jahre spielt sie unbedeutende Rollen in eher anspruchslosen Filmen.
Das rebellische «Oomph-Girl»
Die Beziehung zu Warner Brothers, bei denen Ann insgesamt 12 Jahre unter Vertrag bleiben wird, ist schwierig und von Zwist geprägt. Die kämpferische Ann treibt die Studiobosse immer wieder mit Streitgesprächen und Streiks zur Verzweiflung. Wie viele ihrer Schauspielkollegen dieser Zeit verlangt sie bessere Filmrollen und ein höheres Gehalt. 1938 darf sie endlich die Hauptrolle im Film «Angels with Dirty Faces» spielen. Als der berühmte Journalist Walter Winchell eines ihrer Fotos aus «Chicago – Engel mit schmutzigen Gesichtern» mit der Aussage «Ann Sheridan zeigt in diesem Film sehr viel Umph» kommentiert, was so viel bedeutet wie Pep und Sexappeal, ändert das Studio die Schreibweise des Wortes in «Oomph» und ruft gleichzeitig einen Wettbewerb aus, um Hollywoods «Oomph-Girl» zu krönen. Ann gewinnt diesen Wettbewerb und wird zur Schauspielerin mit dem grössten «Oomph»-Effekt der USA gekürt. Die Männerwelt ist verrückt nach dem texanischen Wildfang, der wöchentlich circa 250 Heiratsanträge erhält. Jahre später äussert sich Ann Sheridan in einem Interview: «Oomph ist das Geräusch, das ein dicker Mann macht, wenn er sich bückt, um seine Schnürsenkel in einer Telefonzelle zu binden.» Doch das «Oomph» ist nicht nur ein Titel, den sie gewinnt, es ist der Kurswechsel zu A-Filmen, da sie etwas «undefinierbar Anziehendes auf Männer» ausübt.
Die glamouröse Hollywood-Sirene
Es ist die Mischung zwischen aussergewöhnlicher Anziehung, ihrer direkten Art und einer unverwechselbaren Bodenständigkeit, die niemals zu eklatanter Sexiness führt. Sie ist sexy, sie hat Stil, und sie beginnt den Lady-Status sowie Ruhm zu geniessen. Ihre erste Star-Rolle spielt Ann Sheridan 1940 im Film «It All Came True», wo sie an der Seite von Humphrey Bogart und Jeffrey Lynn in der Musical-Komödie auch das erste Mal singt. Es folgen weitere Filme wie «Torrid Zone», «City for Conquest», «They drive by Night», «Honeymoon for Three», «The Man Who Came to Dinner» oder «Kings Row», in denen sie an der Seite von Stars wie Ronald Reagan, Robert Cummings oder Betty Field brilliert. Neben Rita Hayworth, Betty Grable und Dorothy Lamour gehört sie zu Hollywoods beliebtesten Pin-up-Girls.
Ehe-Unglück und Karriereknick
Trotz unzähliger Heiratsanträge, Verehrer und ihrem schillernden Wesen scheinen auch ihre Ehen eher B- als A-Verbindungen zu sein. Ihre erste Heirat mit Edward Norris endet 1939 nach knapp zwei Jahren, und ihre zweite Ehe mit George Brent dauert auf den Tag genau ein Jahr, als sich das Paar 1943 trennt. Die langjährige Beziehung mit dem Publizisten Steve Hannagan wird mit Hannagans Herzinfarkt 1953 beendet, und als Ann Sheridan 1966 mit dem Schauspielkollegen Scott McKay zum dritten Mal das Ehegelübde schwört, stirbt sie nach nur sechs Monaten.
1950 werden die Filmrollen weniger und schlechter. Junge Schauspielkolleginnen fluten Hollywoods Filmsets und verdrängen die «ältere» weibliche Konkurrenz. Die Filme, in denen Ann Sheridan in den sechziger Jahren zu sehen ist, sind enttäuschend, und nach einer weiteren mittelmässigen Produktion, «Woman and the Hunter», beendet Ann Sheridan 1957 ihre Filmkarriere. 1966 tritt sie im Fernsehen in ihrer eigenen Comedy-Serie «Pistols ‘n’ Petticoats» auf, doch wird sie noch im selben Jahr mit der Diagnose Krebs konfrontiert. Am 21. Januar 1967 stirbt das «Oomph-Girl» in Los Angeles.
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