
Das flüssige Gold von Åland
- 2. Juni 2018
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Auf der autonomen Insel Åland, mitten im Baltikum zwischen Schweden und dem finnischen Festland, knallen alle zwei Jahre die Champagnerkorken. Der Grund dafür ist ein einmaliger Fund am Meeresgrund.
Mit einer modrig-weiss belegten Flasche in der Hand taucht Christian Ekström aus 50 Meter Tiefe langsam wieder auf. Sein Herz pocht vor Aufregung. Sie könnte grösser nicht sein, denn in den Tiefen lagern noch 167 weitere Flaschen mit unbekanntem Inhalt. Eigentlich wollte das åländisch-schwedische Taucherteam nur ein Schiffswrack betauchen: ein Segelschiff, das in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts südlich von Föglö in den äusseren Schären von Åland gesunken war. In dem nahezu unversehrten Wrack auch noch einen Schatz zu finden, hätte sich niemand träumen lassen.
Apfel- oder Perlwein?
«Der Tag fing ganz normal an», berichtet die auf Åland geborene Sommelière Ella Grüssner Cromwell-Morgan. «Ich war eigentlich mit unseren Hotelgästen beschäftigt, und plötzlich sass ich mit Christian Ekström und einer uralten Flasche aus dem Meer in meinem Garten.» Sobald die Weinspezialistin an den 6. Juli 2010 zurückdenkt, bekommt sie selbst Jahre später noch Gänsehaut. «Wir wussten nicht, womit wir es zu tun hatten, doch die typische Flaschenform und auch die Korken wiesen auf Champagner hin», erklärt Christian Ekström. Der Inhalt habe sehr süss, wie ein im Eichfass gereifter Apfelwein geschmeckt – ein Bouquet von reifen Früchten mit einem Hauch Tabak. «Und obwohl er so unglaublich alt war, schmeckte er überraschend frisch», so Ella Grüssner Cromwell-Morgan. Im Nachhinein ist sie natürlich froh, dass sie das flüssige Gold aus dem Meer als Erste probieren durfte. Mit einer Flasche Perrier Jouët aus dem Jahr 1825 zählt der rund 170 Jahre alte Åland-Champagner zu den ältesten trinkbaren und somit auch exklusivsten Champagnern der Welt.
Ruhe am Meeresgrund
Dass er in so hervorragendem Zustand ist, habe mit den optimalen Lagerbedingungen unter Wasser zu tun: der geringe Salzgehalt des Baltischen Meeres, die horizontale Lage im Schiffswrack, Dunkelheit, eine konstante Temperatur von vier Grad Celsius und ähnliche Druckverhältnisse im Inneren und Äusseren der Flaschen. Die Druckverhältnisse in 50 Meter Tiefe entsprechen mit fünf Bar in etwa dem Druck innerhalb der Champagnerflaschen.
«Das Wichtigste ist jedoch die geringe und konstante Temperatur am Meeresgrund», erklärt der renommierte Champagnerexperte Richard Juhlin. Dadurch reife der Champagner langsamer und entwickle viel prägnantere, vollere Noten.
Bevor alle Flaschen neu verkorkt wurden, hatte Richard Juhlin das Privileg und die wichtige Aufgabe, von jeder einzelnen zu kosten, um Geschmack und Qualität des Champagners zu bestimmen. «Rund zwei Drittel waren ungeniessbar, die restlichen Flaschen hingegen waren fantastisch», schwärmt er. Im Labor untersuchte Proben ergaben, dass der Zuckergehalt des alten Champagners mit rund 140 Gramm pro Liter im Vergleich zum heutigen Durchschnittswert von circa zehn Gramm pro Liter um ein Vielfaches höher ist. Die Süsse des Champagners sei typisch für die Weinherstellung des frühen 19. Jahrhunderts, da Perlwein damals hauptsächlich als Dessertwein genossen wurde, so der Fachmann.
Der älteste Veuve Clicquot der Welt
Anhand der auf den Korken eingebrannten Wappen und Schriften war die Herkunftsbestimmung des Champagners ein Kinderspiel: Der Fund umfasste Flaschen der Champagnerhäuser Veuve Clicquot Ponsardin, Juglar (bis 1829, danach Jacquesson) und Heidsieck – allesamt noch heute bekannte Edelmarken. 47 der 168 Flaschen stellten sich als Veuve-Clicquot-Erzeugnisse aus den Jahren zwischen 1839 und 1841 heraus. Fabienne Moreau, die hauseigene Historikerin von Veuve Clicquot, hält es sogar für möglich, dass der gesunkene Champagner noch aus einer von Madame Barbe-Nicole Clicquot Ponsardin höchstpersönlich überwachten Produktion stammt: «Die bisher ältesten Flaschen in unserem Besitz stammen von 1905, also lange nach dem Tod von Madame Clicquot.» Angesichts dieser Tatsache ist auch der weltrekordähnliche Preis von 30ʼ000 Euro weniger überraschend. So viel hat ein Paar aus Singapur für eine Flasche Veuve Clicquot aus dem Untersee-Fund bei der ersten Champagnerauktion in Mariehamn im Jahr 2011 hingelegt. Eine Flasche Juglar wurde für 24ʼ000 Euro verkauft. Nach Angaben der Behörden sollen die Erlöse für meeresarchäologische Untersuchungen und Umweltprojekte in der Ostsee eingesetzt werden.
Unter und über Wasser
Doch nicht nur der Zustand der Ostsee liegt den Åländern am Herzen, auch die Qualität von Champagner steht seit 2014 auf dem Programm. Zusammen mit Veuve Clicquot und der Universität Reims in Frankreich hat Familie Holmberg, der die Konferenz- und Hotelinsel Silverskär bei Saltvik gehört, ein besonderes Forschungsprojekt ins Leben gerufen: Bereits seit drei Jahren lagern unweit der sogenannten Champagner-Insel mehrere Käfige mit neuem Champagner auf dem Meeresgrund der Ostsee. «Wir wollen uns den Einfallsreichtum und die Kraft der Natur zu Nutzen zu machen und testen, inwiefern sich die Unterwasserlagerung auf den Reifungsprozess des Champagners auswirkt», erklärt Johan Mörn, einer der Manager von Silverskär. Parallel reift im französischen Reims Champagner der gleichen Jahrgänge in den herkömmlichen Lagervorrichtungen an Land. Das Projekt ist auf 40 Jahre ausgelegt, wobei alle zwei Jahre Flaschen von beiden Standorten geöffnet, probiert und miteinander verglichen werden. Eine der glücklichen Testerinnen ist Ella Grüssner Cromwell-Morgan: «Ich freue mich schon auf die nächste Kostprobe und bin gespannt, ob man in ein paar Jahren Unterschiede zwischen dem Unterwasser- und dem normal gelagerten Champagner schmeckt.»
Besonders auf der ganzen Linie
Dabei ist nicht nur der Champagner hier eine Besonderheit, sondern die Region selbst ist es auch. So ist Åland mit seiner Hauptstadt Mariehamn – übersetzt Marienhafen, zurückzuführen auf Maria, eine gebürtige Darmstädterin und Gattin des russischen Zaren Alexander II. – nicht einfach nur eine baltische Inselgruppe, sondern eine schwedisch-finnische Besonderheit: ein kleines Stück Schweden in Finnland, wenn man so will. Bis Anfang des 19. Jahrhunderts gehörte der aus 6757 Inseln bestehende Archipel zum Schwedischen Reich. Als Folge des schwedisch-russischen Krieges musste Schweden im Jahr 1809 Finnland und Åland an Russland abtreten. Dadurch fiel die Inselgruppe dem neugegründeten Grossfürstentum Finnland zu, das wiederum dem Zarenreich Russland unterworfen war. Erst mit Finnlands Unabhängigkeitserklärung im Jahr 1917 wurde auch die Zugehörigkeit Ålands neu diskutiert. Wegen des internationalen Charakters der Åland-Frage sollte der neugebildete Völkerbund darüber entscheiden. Am 24. Juni 1921 einigte man sich auf einen Kompromiss: Das schwedischsprachige Åland wurde zur Selbstverwaltungszone unter finnischer Herrschaft. Seitdem dürfen die Åländer ihre Angelegenheiten weitgehend selbst regeln, was im Laufe der Zeit zu eigener Fahne, eigener Nationalhymne, eigenem Nationalfeiertag, eigenem Autokennzeichen, eigenen Briefmarken und eigener Internetdomain geführt hat. Das Sahnehäubchen der åländischen Eigenständigkeit ist, dass Finnisch kein verpflichtendes Schulfach ist.
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