Charles «Lucky» Luciano – Der Boss der Bosse
- 10. Juli 2012
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Charles «Lucky» Luciano, der Boss der Bosse des New Yorker Mobs, war kein schöner Mann. Jedoch trumpfte er mit dem Wundermittel schlechthin auf – er war ein böser Junge, der viel Macht und noch mehr Geld besass. «Betrat er einen Raum, umschwirrten ihn die Frauen wie wildgewordene Insekten eine Glühbirne. Es war faszinierend, diese magische Anziehungskraft zu beobachten und seine Power zu spüren, mit der er die kleinste Ritze in seiner Umgebung zum Kochen brachte. Irgendwann realisierte ich, dass es sich um eine übermächtige, sexuelle Anziehungskraft handelte.» Bee Sedway, eine damalige Freundin, beschrieb in einem Interview einen Mann, dem trotz seines von Pockennarben entstellten Gesichts, des Hängelids am rechten Auge oder der markanten Narbe am Kinn, die seinen breiten, schmallippigen Mund noch unterstrich und die er als Andenken an Salvatore Maranzano und dessen Schlägertrupp ein Leben lang mit sich trug, die Frauen zu Füssen lagen.
Charles «Lucky» Luciano ist ein Genie. Wenn er spricht, hängen ihm die Menschen unabhängig ihres Geschlechts gebannt an den Lippen; lacht er, stimmen alle mit ein; verlässt er den Raum, folgt ihm die Menge wie hörige Jünger ihrem Propheten. Sein Wort ist Gesetz und ähnlich wie bei Nero im alten Rom regiert Lucianos Daumen, der entweder nach oben oder nach unten zeigt. Er ist brillant, verkörpert eine faszinierende Dreieinigkeit von Stärke, Ehrgeiz und Charisma und ist von einer unberechenbaren und doch schrecklich fesselnden Bösartigkeit umhüllt. Innerhalb kurzer Zeit regiert der Einwanderer aus Sizilien die New Yorker Unterwelt nicht nur, sondern hat sie neu strukturiert, modernisiert und bricht Ehrenkodexe der «Mustache Petes», der so genannten «Schnauzbart-Riege» herrschender Dons, die festgefahren sind in starrer Tradition und zu schleppender Aktion. Als im Jahr 1930 in den Vereinigten Staaten ein Einfamilienhaus schlappe 7’1450.00 Dollar und eine Gallone Benzin ein Nichts von 10 Cents kostet, übersteigt Lucianos Jahresverdienst 12 Millionen Dollar, was heute dem vielfachen Wert von circa 167 Millionen Dollar entspräche.
Die Geburt eines Sterns
Als Antonio und Rosalia Lucania über den schier endlosen Atlantik der anderen Seite der Welt entgegenreisen, erhoffen sie sich die Erfüllung eines Traums und eine Verbesserung ihrer Lebensumstände. Doch im jüdischen Viertel in New York Citys Lower East Side erwarten sie eine muffig kleine Wohnung und knochenharte Arbeit für ein bisschen Existenzminimum. Salvatore merkt schnell, dass er auf der Strasse des Lebens mehr lernt als in einem Klassenzimmer. Stundenlang beobachtet er die lokalen Verkäufe von Lebensmitteln und Kleidern und ist angetan vom Gewusel der Händler und darüber, wie scheinbar leicht sich Geld verdienen lässt. Mit 14 Jahren läuft er von zu Hause fort und vertreibt Hüte für 7 Dollar die Woche. Als er anfängt, Rauschmittel zu verkaufen, versteckt er die Drogenpäckchen unter dem Hut. Salvatore ist ein Opium rauchender Kleinkrimineller, der ein sexuell ausschweifendes Leben führt und sich wegen seiner Delikte immer wieder neue Namen zulegt. Aus Salvatore Lucania wird Charles Luciano. Nach einem Jahr Knast wegen Heroinbesitzes schliesst er sich nach seiner Entlassung der «Five Points Gang» an, die als härteste und brutalste Bande New Yorks gefürchtet ist.
Wie bei Bugsy Siegel, Mitglied der jüdischen Mafia Kosher Nostra, kurbelt die Prohibition Charles‘ Karriere mächtig an, denn der illegale Handel mit verbotenem Alkohol bildet neben der Prostitution, dem Glücksspiel und den Drogengeschäften das lukrativste Geschäft für das organisierte Verbrechen. Der einzige Codex, der für Charles zählt, ist der Profit. Mit wem er diesen erzielt, aus welchem Land seine Partner stammen oder zu welchem Gott sie beten, interessiert ihn nicht. Sein Tempel ist das «National Crime Syndicate», das er aufgebaut hat und in dem er den Vorsitz vertritt. Charles ist sein eigener Gott und Führer und seine Gedanken kreisen nur um eine Sache: seine Geschäfte im organisierten Verbrechen, der Mafia.
Thronwechsel
Charles Luciano ist ein Meister der Manipulation und Korruption und in den späten 1920er Jahren der aufgehende Star des Mobs. Er bewegt sich in der New Yorker Unterwelt genauso sicher und gewandt wie bei den zahlreichen Anlässen der High Society im berühmten «Stork Club» oder in der Runde von Schauspielern und Politikern, von denen er die meisten korrumpiert und schmiert und somit den Schutz von Polizisten, Gefängniswärtern und Politikern für den Mob sichert. Doch Giuseppe «Joe The Boss» Masseria, ein traditionsgeschwängerter «Mustache Pete», dessen Crew mit anderen sizilianischen Mafia-Einheiten konkurriert und der bis zu diesem Zeitpunkt auf dem Titel «Capo di tutti Capi» sitzt, hält unabhängig der in Aussicht stehenden Millionengewinne am Codex fest, nicht ins Drogengeschäft einsteigen zu wollen. Stattdessen entsendet er den innovativen und ehrgeizigen Charles Luciano an New Yorks East Side, wo ein erbitterter Krieg zwischen den rivalisierenden Oldtimer-Dons tobt, zu denen auch Salvatore Maranzano gehört. Maranzano will den smarten und erfolgreichen Mobster Luciano abwerben, doch dieser schlägt sein Angebot aus. Ein schlechter Schachzug, wie sich an der 15. Strasse in New York City herausstellt, als Charles Luciano von Maranzanos Männern halb totgeprügelt, wie ein Ball durch die Strassen gekickt und irgendwann blutig und zerschmettert neben Mülltonnen liegen gelassen wird. Mit letzter Kraft schleppt sich Charles durch die Strasse, bis ihn ein Polizist findet und ihn entgegen seinem Willen in ein Krankenhaus einliefert. Seine Freunde Bugsy Siegel, Meyer Lansky und andere Mobster besuchen Charles und sind sich einig: «You are lucky to be alive!» – Du hast Glück, überhaupt am Leben zu sein. Sie beschliessen, ihn Lucky zu nennen. Was äusserlich sichtbar bleibt, sind sein Hängelid und eine hässliche Narbe, die sein Kinn waagerecht teilt.
Doch die Attacke hinterlässt bei Lucky Luciano einen weitaus tieferen Eindruck. Die sich bekämpfenden Mafia-Familien schaden dem Geschäft und es gibt nur einen Weg, dieses Fiasko zu beenden. Eines Tages lädt Luciano Salvatore Masseria in ein italienisches Restaurant auf Connie Island ein. Während sich Luciano auf der Toilette die Hände wäscht, stürmen bewaffnete Mörder das Restaurant und erschiessen Masseria, noch bevor die Spaghetti kalt sind. Luckys Interesse ist auf Business und Gewinn fokussiert, und so wird sein ehemaliger Fast-Mörder sein neuer Chef. Mit dem brillanten neuen Zugpferd an seiner Seite wähnt sich Maranzano im Glück, ahnt aber nichts von Lucianos Vorbehalten. Nicht im Traum hat er weder dessen Schläger noch das schwerfällige Agieren der «Mustache Petes» vergessen, die versessen an ihren selbst auferlegten Förmlichkeiten und Grundsätzen festhalten. Und noch etwas pocht in seinen Adern, etwas, das in der Welt der sizilianischen Mafia noch süsser ist als jede weitere Million … Rache. Und so sitzt Maranzano an seinem Schreibtisch, als verkleidete Männer sein Büro angreifen und einen der letzten Oldtimer 1931 mit nur wenigen Kugeln erschiessen. Mit 34 Jahren ist Charles «Lucky» Luciano der Boss der Bosse, Capo di tutti Capi. Respektiert und gefürchtet von den restlichen Mafia-Familien, vier Jahre später stärker und gefährlicher als Al Capone und im Visier des unerbittlichen Mafia-Jägers Thomas E. Dewey.
Der Schlag des Kreuzritters
Dewey ist ein Besessener im Kampf gegen das organisierte Verbrechen. Unermüdlich webt er auf seinem Kreuzzug mit seinen Leutnants das Netz, in dem Luciano, Meyers und deren gesamtes Drogenkartell erstickt werden sollen. Doch nichts scheint vorhanden zu sein, um den Mob zu Fall zu bringen. Bis drei Zimmermädchen des «Waldorf-Astoria» bezeugen, Lucky Luciano und der Zuhälter Dave Betillo träfen sich regelmässig in dessen Suite im Luxushotel. Die Prostituierten, die Dewey verhaftet, entscheiden sich im von Dewey angebotenen Kuhhandel für das Ticket in die Freiheit und damit verbundener Aussage. Dass er wegen Zuhälterei schuldig gesprochen und verhaftet wird, ist für eine Mafia-Grösse wie Luciano ein Schlag ins Gesicht. Trotz der Millionengewinne ist das älteste Gewerbe der Welt ein schmutzigeres Geschäft als die anderen Geldquellen des Mobs und sie werten es in ihrer Hierarchie auf unterster Stufe. Im März 1936 wird Lucky Luciano ins Gefängnis von Hot Springs in Arkansas überführt, wo er 30 bis 50 Jahre absitzen soll. Zum ersten Mal in seinem Leben steht Lucky Luciano mit dem Rücken zur Wand. Das Syndikat ist verunsichert, denn wenn Luciano, die mächtigste Figur des organisierten Verbrechens, mit seinem immensen Einfluss in der Politik, Wirtschaft und High Society verhaftet werden kann, ist der Mob nicht unverwundbar. Lucianos Geschäftspartner verlassen das brodelnde Pflaster New York, und während Bugsy Siegel seinen Star-Appeal in Hollywood pflegt, analysiert Meyer Lansky in Florida und Havanna das Glücksspiel, um in dieses einzusteigen.
Amerikas verleugneter Patriot
1942 tobt vor den dicken Gefängnismauern, hinter denen Lucky ein doch angenehmes Leben führt, ein weitaus schlimmeres Übel. Der Zweite Weltkrieg. Unzählige Handelsschiffe werden von deutschen U-Booten versenkt und deutsche Spione machen auch vor dem fernen Amerika nicht halt. Lucianos Männer Frank Costello und Albert Anastasia kontrollieren noch immer die Docks des Hafens, und so beschliessen Navy-Funktionäre und der CIA, den über die Regierung verbitterten Luciano um Unterstützung zu bitten. Diese aussergewöhnliche Situation, die auch Jahre später noch von der Regierung geleugnet wird, verhilft Amerika, mit der New Yorker Unterwelt einerseits eine Mauer gegen die deutschen Spione zu bilden und andererseits den Hafen vor Sabotageakten des Mobs zu schützen. Meyer Lansky rät dem zweifelnden Luciano zu diesem Schritt, und seine Strategie ist simpel, denn kein Gefallen, den die Mafia jemandem macht, bleibt unbezahlt. Lucky Luciano soll wieder ein freier Mann werden.
Rückkehr nach Italien
1946 hängt die vorzeitige Freilassung Lucianos von einer einzigen Unterschrift ab. Die Situation könnte nicht hämischer sein, denn ausgerechnet sein erbitterter Erzfeind Thomas E. Dewey, der in der Zwischenzeit zum Gouverneur des Staates New York aufgestiegen ist, soll derjenige sein, der nun den Daumen nach oben oder nach unten streckt. Deweys Schachzug ist perfide. Lucky Luciano hatte in all den Jahren versäumt, die Bürgerschaft von New York zu beantragen. Grund genug, ihn ausser Landes zu weisen. Als Lucky Luciano Wochen später und zum ersten Mal seit seiner Kindheit seine alte Heimat erreicht, trägt er kiloweise Geld bei sich, das ihm die Bosse als Abschiedsgeschenk mitgegeben haben, und es dauert nicht lange, bis Lucky wieder im Spiel ist.
Innerhalb kürzester Zeit kontrolliert Luciano das internationale Heroingeschäft, das über Havanna auf den amerikanischen Markt geschwemmt werden soll. Die neue Heroinroute soll über Sizilien nach Kuba und von dort nach Amerika führen. Doch obwohl nach Italien deportiert, wacht die amerikanische Regierung über Luciano, und als Harry Jacob Anslinger, der Vorsitzende des «Federal Bureau of Narcotics» nach Kuba reist, um Lucianos Wirkungskreis auszukundschaften, ist er dermassen besorgt und alarmiert, dass er sich an den amerikanischen Präsidenten, Harry S. Truman, wendet. Die USA sollen Sanktionen gegen Kuba einleiten, wenn Luciano nicht ausser Landes gewiesen würde.
Totgesagte leben länger
Man hatte ihn aus Amerika verbannt und danach aus Kuba gekickt. Zuerst war er in Rom gestrandet und dann in Neapel gelandet. Die lächerlichen 45’000 Dollar, die sein treuer Freund Meyer Lansky ihm monatlich überweist, entsprechen in keinster Weise seinem vor Jahren geführten Lebensstil und sind für einen Mann seiner Grösse jämmerlich. Doch ungehindert dessen gibt er jedem, der es benötigt, Geld, unterstützt arbeitslose Männer, deren Frauen ihn um Hilfe bitten, oder bezahlt Ärzte, damit diese sich bei Hausbesuchen um Kranke kümmern können. Aber Lucky ist unglücklich und trotz der Paparazzi, die ihm mit italienischer Wärme begegnen, von Heimweh geplagt. New York, seine Stadt, fehlt ihm. Als Amerika 1949 von Drogen aus Europa überschwemmt wird, steht Luciano in der Liste der Verdächtigen an oberster Stelle. Wieder scheitert die amerikanische Regierung an Luckys Raffinesse. Für eine Verhaftung reicht es nicht aus, jedoch für eine erneute Ausschaffung, und dieses Mal ist es Sizilien. Luckys Power indes ist ungebremst und enorm, und in immer ausgefalleneren Verstecken verpackt erreicht das weisse Gold Heroin den amerikanischen Kontinent.
Heimkehr
Neun Jahre später wendet sich Luckys Glück jäh gegen ihn. Die Beziehungen zu seinen Geschäftspartnern des amerikanischen Mobs beginnen zu bröckeln. Die Checks des Syndikats schrumpfen mit jedem Monat, denn die Bosse zweifeln seine Ehrlichkeit an und glauben, er bestehle sie. Mit Fidel Castros Revolution endet der Einfluss der Mafia auf Kuba genauso wie Luckys Drogen-Versorgungskette. Als Luciano 1962 nach einem Herzanfall aus dem Krankenhaus entlassen wird, ist er ein Schatten seiner selbst. Von unzähligen Herzinfarkten regelrecht erlegen, stirbt Lucky Luciano im Alter von 64 Jahren auf einer Strasse in Italien. Sein Wunsch, endlich nach Hause zu kehren, erfüllt sich mit seinem Tod. Lucky Luciano, der aus dem Mob ein Multi-Milliarden-Geschäft erschaffen und eine Brücke zwischen der alten Mafia-Garde, den Konservativen, mit dem modernen Syndikat, den Liberalen, geschlagen hatte, wird in aller Stille auf dem Friedhof im Stadtteil Queens, New York, beerdigt.