«Caza, mon amour!» – kulinarischer Streifzug durch die weisse Stadt am Atlantik
- 27. März 2013
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Als «Casablanca» mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman 1942 in den amerikanischen Kinos anlief, hatten die meisten Filmfans wohl noch nie etwas von der staubigen Hafenmetropole an der marokkanischen Atlantikküste gehört. Und obwohl nicht eine Szene des Klassikers auf afrikanischem Boden gedreht wurde, lebt die Stadt – von den Einheimischen liebevoll «Caza» genannt – bis heute von der fast magischen Aura, die das Hollywooddrama der Stadt bis heute verleiht. Dennoch steht die Wirtschafts- und Kulturmetropole mit ihrem strahlend weiss getünchten Antlitz heute im Schatten der Touristenmagneten Marrakesch, Fez und Agadir. Viele Marokkoreisende bekommen von Casablanca kaum mehr zu Gesicht als den weit ausserhalb gelegenen Flughafen. Dabei ist die grösste Stadt des Landes, von der nicht einmal die Behörden wissen, ob sie nun vier, fünf oder gar sechs Millionen Einwohner zählt, eine der spannendsten Megacities auf dem afrikanischen Kontinent und steckt voller Kontraste.
So wirkt die Ville nouvelle von Caza mit ihren prachtvollen, sternförmig von der Place Mohammed V. ausstrahlenden Boulevards, gesäumt von zahllosen Gebäuden aus der Zeit des Art déco, wie eine koloniale Pariskulisse, die die französischen Besatzer mitten in den Wüstensand gepflanzt haben und die verwinkelte Medina wie einen Ring umschliesst. An der Peripherie dehnen sich dagegen riesige Industriegebiete und endlose Elendsquartiere mit gesichtslosen Betonsilos bis an den Horizont. Sammelbecken für den nie endenden Zustrom armer Landbewohner, die hier verzweifelt nach einer wirtschaftlichen Perspektive suchen.
Feinschmecker-Paradies auf Marokkanisch
Und tatsächlich ist Casablanca eine Stadt im Aufbruch. Überall recken Baukräne ihre stählernen Arme in den Himmel, wachsen mächtige Dienstleistungs- und Tourismuskomplexe empor. Gerade entsteht neben dem Hafen eine neue Marina, im letzten Jahr hat die grösste Shoppingmall Afrikas ihre Pforten geöffnet. Gleichzeitig gibt es in der Stadt eine junge Kunst- und Designerszene und die mondänen Strandclubs entlang des noblen Boulevard de Corniche können es problemlos mit den Hotspots an der italienischen und französischen Riviera aufnehmen – auch was die Preise angeht. Doch auch für Gourmets ist Casablanca ein echter Geheimtipp. Erfahrene Foodies wissen: Die marokkanische Küche, in der orientalische, arabische, schwarzafrikanische, portugiesische, spanische und französische Einflüsse zu einer Art Urform moderner Fusionküche amalgamiert sind, ist die beste des Kontinents.
Auf der Webseite «Best Restaurants Maroc», ein landesweites «Who is Who» der marokkanischen Gourmetszene, sind alleine für Casablanca mehr als 40 einschlägige Adressen von Top-Restaurants gelistet.
Der Geschmack des Orients
Nicht entgehen lassen sollte man sich aber auch das in die alten Befestigungsanlagen am Südende der Medina integrierte «La Sqala» am Boulevard des Almohades. Obwohl Teil einer Gastrokette, wird hier die vielleicht beste Tajine der Stadt aufgetischt. Zubereitet und serviert wird das marokkanische Nationalgericht im traditionellen Lehmgefäss, dem es auch seinen Namen verdankt. In seinem spitz zulaufenden Deckel kondensiert während des Garens der Dampf, so dass die Zutaten schön saftig bleiben. Die Zubereitung über Holzkohlenglut sowie reichlich Knoblauch, Cumin, Ingwer, Safran und ein halbes Dutzend weiterer Gewürze verleihen einer Tajine ihren unverwechselbaren Geschmack. Unbedingt probieren: die «Tajine djaj m’kalli» mit Hähnchenfleisch, grünen Oliven und eingelegten Zitronen – eine Art Archetyp marokkanischer Kochkunst. Als Vorspeise wählen wir, neben einem guten Dutzend köstlicher Salate, eine Pastilla. Ein runder Fladen, der optisch an spanische Tortillas erinnert. Tatsächlich handelt es sich um knusprigen Filo-Teig, traditionell mit Taube oder Wachtel, heute jedoch meist mit Hähnchen gefüllt. Neben fein zerpflücktem Fleisch, das zunächst mit Zwiebeln und einer Vielzahl von Gewürzen in Öl angebraten und anschliessend in aromatischer Brühe gegart wird, sind darin auch geröstete Mandeln verarbeitet. Abgerundet mit Zimt, Orangenblütenwasser und reichlich Zucker schmeckt die Pastilla oft so süss, dass sie im ersten Moment eher an ein Dessert erinnert. Zur Krönung wird sie vor dem Servieren noch dick mit Puderzucker und Zimt bestreut, dann beim Essen in eine scharfe Chilisauce getunkt. Was reichlich exotisch klingt, schmeckt tatsächlich fantastisch. Gerade die Mischung aus süss, salzig und pikant ist eines der wesentlichen Charakteristika marokkanischer Küche. Zum Essen geniessen wir ebenfalls zuckersüssen Minztee, den die Kellner kunstvoll in die liebevoll ornamentierten Gläser plätschern lassen.
Fish please!
Unweit des Restaurants liegt auch Casablancas vielleicht bekannteste Sehenswürdigkeit, die 1993 fertiggestellte Hassan-II.-Moschee, einer der grössten und prachtvollsten Sakralbauten der Welt. Das 210 Meter hohe Minarett ist das höchste religiöse Bauwerk, in dessen Inneren zu Gebetszeiten rund 25’000 Gläubige Platz finden.
Doch zurück an den Herd: Auch Fischliebhaber werden in Casablanca fündig – vor allem in einem der zahlreichen Strandlokale entlang der «Corniche». Besonders empfehlenswert ist das «Le Pilotis» im Tahiti Beach Club. Wer es sich leisten kann, bestellt hier in strahlend weissem Lounge-Ambiente fangfrischen Fisch vom Grill oder fantastisches Seafood und geniesst dazu mit Blick auf den Ozean einen kühlen marokkanischen Weisswein. Mit rund 100 Franken oder mehr pro Person muss man hier allerdings rechnen.
Apropos Fisch: Unweit des kommerziellen Fischmarktes am Hafen liegt auch eines der schönsten Hotels der Stadt – das nagelneue «Sofitel Tour Blanche», ein ebenfalls schneeweisser Wolkenkratzer, dessen Zimmer in den oberen Stockwerken einen herrlichen Ausblick über das nicht enden wollende Häusermeer Casablancas bieten. In der Lobby befinden sich mit dem «L’Atelier Oriental», das die ganze Vielfalt orientalischer Küchentradition unter einem Dach vereint, beziehungsweise dem «L´Arabesque» mit einem spannenden Mix neuer französischer Küche mit marokkanischen Zutaten ebenfalls zwei hervorragende Restaurants. Die Signature-Gerichte wie zum Beispiel gebratene Gänseleber mit Arganöl und Honig oder das knusprige Tartelette mit sonnenreifen Tomaten und Basilikumsorbet sind ein Traum!
Ein weiteres Must für Foodies: der Besuch des «Marché Central» mitten im pulsierenden Herzen der Stadt zwischen dem Boulevard Mohammed V. und der Rue Allah ben Abdellah. Errichtet während des französischen Protektorats, bietet er noch immer alles, was das Herz des Feinschmeckers begehrt. Noch heute kaufen viele Expats hier ein, aber ebenso die marokkanische Upper Class – oder deren dienstbare Geister. Noch spannender aber ist der Besuch auf den Einheimischen-Märkten der alten Medina. Authentischer kann man Marokko inmitten dieser urbanen Metropolis kaum erleben.
Alt ist hier übrigens relativ, stammen die meisten Gebäude, anders als in Fez oder Marrakesch, doch erst aus dem späten 18. und 19. Jahrhundert, denn «Casa Branca», wie es damals noch hiess, wurde infolge des Erdbebens von Lissabon im Jahre 1755 fast vollständig zerstört. Einige Jahre später liess Sultan Muhammad bin Abdallah die Stadt dann wieder aufbauen, nachdem die Portugiesen ihren seit 1575 besetzten Handelsposten einfach aufgegeben hatten. Bis zur Ankunft der Franzosen im Jahr 1907 zählte Casablanca aber kaum mehr als 20’000 Einwohner.
Spices, Spices, Spices
Auf dem Gewürzmarkt der Medina duften derweil «Baharat» und «Ras el Hanout» um die Wette. Die beiden berühmten Universalgewürzmischungen sind aus der marokkanischen Küche nicht wegzudenken und bestehen, je nach überlieferter Rezeptur, aus bis zu 100 Einzelgewürzen. Am wichtigsten sind Kardamom, Nelken, Zimt, Chili, Koriander, Cumin, Muskat, Mönchs-Pfeffer, Kubeben-Pfeffer, Paradieskörner, Erdmandeln und Rosenblüten. Daneben leuchten Piment, gemahlener Ingwer, edler Safran und Kurkuma. Ausserdem ganze Berge von zuckersüssen Datteln, riesigen Walnüssen, gelben Rosinen, getrockneten Feigen und blanchierten Mandeln. In kleinen Plastikflaschen glänzt dazwischen goldgelbes Arganöl, das nur im Süden Marokkos produziert wird. Sowohl in der Küche als auch zu kosmetischen Zwecken ist das Öl unverzichtbarer Bestandteil der marokkanischen Alltagskultur. Ebenfalls sehenswert ist das von den Franzosen errichtete «Quartier de Habous» mit seinen zahlreichen Verkaufsständen für typisch marokkanische Souvenirs. In den sich anschliessenden Wohnquartieren der marokkanischen Mittelschicht drängen sich unzählige Imbissbuden auf Strassen und Plätzen, die ein wenig an den berühmten «Djemaa el Fna» in Marrakesch erinnern. Wer gerne einmal Kamel am Spiess probieren möchte, ist hier genau richtig.