
Kulinarische Märchen
- 29. Juni 2020
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Kataloniens Hauptstadt Barcelona und ihr grünes Hinterland zählen für Feinschmecker nicht ohne Grund zu den Top 10 von Europas Food Destinations. Und tatsächlich sind der morgendliche Spaziergang über den Mercat de la Boqueria unweit der belebten Ramblas, ein Abstecher in eine der zahllosen Tapas- und Pinchos-Bars oder ein genussvoller Abend in einem der aktuell 24 sternegekrönten Gourmettempel der Stadt oft unvergessliche Erlebnisse. So auch unser Besuch im mit 2 Michelin-Sternen geadelten Restaurant «Moments» unter Ägide der katalanischen Ausnahmeköchin Carme Ruscalleda und ihres Sohnes Raül Balam.
Bis zur Schliessung ihres Drei-Sterne-Lokals «Sant Pau» in Sant Pol de Mar Mitte 2018 war Ruscalleda mit damals insgesamt sieben Michelin-Sternen in drei Restaurants die höchstdekorierte weibliche Küchenchefin der Welt. Ausserdem die erste Frau, der der «Guide Michelin» in Spanien je höchste kulinarische Weihen verlieh, während Kultkritiker Wolfram Siebeck ihr bescheinigte, sie sei von allen Köchinnen, bei denen er je gegessen habe, die begabteste. Umso erstaunlicher, als Carme nie eine klassische Kochausbildung absolviert, sondern sich ihr gesamtes Küchen-Know-how autodidaktisch erarbeitet hat. Heute konzentriert sich Ruscalleda allerdings mehr auf andere Projekte, betreibt mit ihrer Tochter in Sant Pol eine Versuchsküche und arbeitet als Buchautorin. Aber noch immer unterstützt sie aktiv die lokalen Teams ihrer beiden verbliebenen Restaurants in Barcelona und Tokio; sie gilt international als eine der bedeutendsten Botschafterinnen der katalanischen Küche.
Heute ist es jedoch vor allem Raül Balam, der als Küchenchef des «Moments» die Philosophie seiner Mutter in kongenialer Weise zu aufwändigen Konzeptmenüs umsetzt, nachdem er zuvor bereits 5 Jahre die Geschicke des ebenfalls mit zwei Sternen ausgezeichneten «Sant Pau de Tòquio» in der japanischen Hauptstadt verantwortet hatte.
Untergebracht ist das Restaurant, dem Spaniens Interior-Design-Ikone Patricia Urquiola ihren unverwechselbaren Fingerabdruck aufgeprägt hat, im Mezzanin des stylishen, 2009 in einem ehemaligen Bankgebäude eröffneten «Mandarin Oriental». Das wiederum liegt direkt an Barcelonas Prachtboulevard und Flaniermeile Passeig de Gràcia und damit nur wenige Gehminuten vom beliebten gotischen Quartier entfernt. Von zahlreichen Zimmern und Suiten geniessen die Gäste einen fantastischen Panoramablick – unter anderem auf die modernistische Fassade von Gaudίs nahe gelegenem Casa Batlló. Zurück im «Moments»,dessen Atmosphäre von einer Palette warmer Gold- und Bernsteintöne geprägt ist, die dem Gastraum eine ebenso edle wie entspannte Atmosphäre verleihen, macht ein grossflächiges, von Vorhängen gerahmtes Fenster die Küche dann selbst zur kulinarischen Bühne. Darauf können Gäste, während sie ihr Menü geniessen, das emsige Treiben der vielköpfigen Brigade beobachten. Besonders gut vom exklusiven Chefs-Table aus.
Carme Ruscalledas Küche wird, wie die ihres Sohnes, seit jeher bestimmt vom kulinarischen Erbe ihrer Heimatregion, der Comarca Maresme, einem schmalen Küstenstreifen entlang der Costa Brava nordöstlich von Barcelona, der als Kataloniens Gemüsegarten gilt. Kein Wunder, dass deshalb immer reichlich Fisch, Meeresfrüchte und Grünzeug auf dem Teller landen. Carme selbst beschreibt ihren Ansatz als klar und transparent, ebenso genussvoll wie gesund. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, begann sie schon früh, die frischen Produkte der Maresme mit ausgewählten japanischen Zutaten zu kombinieren. Denn in Ruscalledas Verständnis sind die Grundprinzipien der katalanischen und der japanischen Küche eng verwandt, spielen Unverfälschtheit und Qualität der Produkte in beiden Küchentraditionen doch die Hauptrolle. Aber auch das Arrangement der Teller ist Carme und Raül wichtig. So lautet eines der bekanntesten Zitate der Küchenchefin: «Si (…) han tenido un día gris, noten que sale el sol en su plato.» – «Wenn sie einen wirklich grauen Tag hatten, soll wenigstens auf dem Teller die Sonne für sie aufgehen.» Deshalb war auch die moderne Kunst für Carme eine immer wiederkehrende Inspirationsquelle. So drapierte sie in ihrem Restaurant das Gemüse auch schon mal in Form eines streng geometrischen Mondrian-Gemäldes. Vor allem aber lieben Mutter und Sohn es, mit ihren Tellern Geschichten zu erzählen, weshalb die Menüs im «Moments» traditionell unter einer bestimmten Überschrift stehen. So entwickelten die beiden u.a. schon kulinarische Interpretationen berühmter Opern oder legendärer Hollywoodklassiker. Ein andermal nahmen sie ihre Gäste mit auf eine kulinarische Weltreise in bedeutende Metropolen. Und im Moment sind unter der Überschrift «Once upon a time» eben Märchen an der Reihe, weshalb den Gästen im Laufe des Abends zahlreiche Helden aus den Geschichten der Gebrüder Grimm über den Teller laufen: angefangen bei Rotkäppchen und dem hässlichen Entlein über Hänsel & Gretel bis hin zu Schneewittchen oder dem Wolf samt sämtlichen sieben Geisslein. Schliesslich lässt ein veritables 13-Gänge-Menü genügend Spielraum, das Thema ebenso abend- wie magenfüllend durchzuexerzieren. Dabei ist fast schon alleine das aussen herrlich knusprige und innen verführerisch saftige Brot, das von einer kleinen Dorfbäckerei in der Nähe Barcelonas exklusiv für das «Moments» gebacken wird, den Besuch des Restaurants wert. Vor allem in Kombination mit der fast süchtig machenden Himbeerbutter.
Im Menü selbst ist die jeweilige kulinarische Interpretation des zugrunde liegenden Motivs dann manchmal ziemlich augenfällig. So zum Beispiel bei der luftigen Desertversion von Schneewittchens Apfel, bei der Raül das tückische Gift durch einen roten Fruchtextrakt andeutet, der sich während des Essens in feinen roten Äderchen auf dem Teller ausbreitet. Mal ist aber auch ein wenig Fantasie gefragt. Zum Beispiel bei der Begegnung mit Hänsel & Gretel – geschmacklich aus unserer Sicht das Highlight im aktuellen Menü. Hier repräsentieren zwei rohe Garnelen von sensationeller Qualität die beiden im Wald umherirrenden Kinder, den Raül durch eine Wellenlinie grüner Pistaziencreme andeutet. Deutlich erkennbar sind dagegen die herzhaft mit geräucherten Pimientos abgeschmeckten Brotkrümel, mit denen die Kinder im Märchen versuchen, den Heimweg zu markieren. Die Hexe schliesslich begegnet uns in Form eines Kleckses flüssiger, mit Lebkuchengewürz abgeschmeckter Schokolade. Das alles klingt nur im ersten Moment etwas gewollt. Tatsächlich entpuppt sich gerade die Verbindung aus Schokolade, rohen Garnelen und kräftig abgeschmeckten Brotkrumen als schlicht genial. Das gilt auch für die Weinbegleitung: hier eine ebenso vielschichtige wie elegante, weisse 2016er Rioja Reserva der Bodega Alonso & Pedrago. Ein Gänsehautwein. Lassen Sie sich verführen. Ach ja, das neue Menüthema steht auch schon fest, so wird es das nächste Mal um die Austragungsorte legendärer Olympischer Spiele gehen. Tokio lässt grüssen.
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