Bugsy «bedroom-eye» Siegel – Kosher Nostra
- 10. Juli 2012
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«Er war ein grossartiger Familienmensch und wunderbarer Vater, der sehr um mich und meine Schwester, aber auch um seine Eltern und Geschwister besorgt war. Er war so klug, ein richtiges Genie, und ich fragte mich immer wieder, woher er all sein Wissen nahm? Er, der im New Yorker East-End geboren wurde und dort aufwuchs. Er war ein völlig anderer Mann als das Bild, das die Öffentlichkeit von ihm gezeichnet hatte. Mafia? Ich kenne keine Mafia! Die Menschen, die uns zu Hause besuchten, waren seine Freunde und Familienmenschen. Mein Vater müsste mit den Bronfmans und Kennedys gleichgestellt werden, die aus derselben Ära stammen. Er war nur ein bisschen von der richtigen Fährte abgebogen, bevor er, in den Augen des Gesetzes, entschied, ein ehrenvoller Mensch zu werden.» Der liebevolle Vater, der seinen Spitznamen «Bugsy» hasst und niemand es jemals gewagt hätte, ihn in seiner Gegenwart so zu nennen, wird von seiner heute 80-jährigen Tochter Millicent Rosen in einem Interview im Jahr 2011 als schneeweisses und zeitweise vom erleuchteten Weg verirrtes Schäfchen beschrieben. Als ihr Vater stirbt, ist Millicent eine 15-jährige Teenagerin. Benjamin «Bugsy» Siegels unschuldig anmutende, babyblaue Augen sehen aus wie diejenigen der Engel aus einem Gemälde von Botticelli. Doch die Seele, die sich in ihnen versteckt, ist kaltblütig, teuflisch und äusserst gefährlich. Bugsy gehört zum Mob der New Yorker Mafia in den Anfängen des 20sten Jahrhunderts und ist ein Verbündeter und enger Freund der Mafiagrössen Lucky Luciano und Frank Costello. Kein anderer Gangster vereint den charmanten Lebemann, der sich mit Hollywood-Stars im Glitzer der High Society sonnt, und den eiskalten Mörder, dem es Spass bereitet, dabei zuzusehen, wie seine Opfer bestialisch gequält werden, bevor ein Gnadenschuss sie endlich von ihrem Leid erlöst. Sein Einsatz sind sein Charme und die Millionen des Mobs. Sein Gewinn ist ein (vorbei-)stürmendes Leben zwischen Champagnerprickeln und Blutrauschen. Die Quittung, die ihm nicht das Schicksal, sondern die Mafia am Ende präsentiert, sind zwei weggeschossene Augäpfel und der Tod auf dem geblümten Sofa seiner nicht minder exzentrischen Ex-Geliebten Victoria Hill in deren prunkvollen Anwesen in Beverly Hills. In der von Illusion und Fiktion geschwängerten Luft der Filmstudios durchbohrt kaltes und glatt geschliffenes Metall Bugsys Realität.
Die Neue Welt
Wo heute im legendären und edlen «The River Café» unterhalb der Brooklyn-Bridge feinstes Kobe-Tartar serviert wird und der Ausblick auf die funkelnden Lichter von South Manhattan den Gästen den Atem raubt, ist es dreckig, verwahrlost, herrschen rohe Gewalt und strenge Hierarchien. Fressen, oder gefressen werden. Amerikas Wirtschaft befindet sich auf einer Talfahrt, und als Benjamin Hymen Siegelbaum am 28. Februar 1906 als Sohn ärmlicher, russisch-jüdischer Einwanderer in Brooklyn, New York City, geboren wird, bietet das Land den europäischen Einwanderern alles andere als unbegrenzte Möglichkeiten. Die Strasse, auf der Italiener, Iren, jüdische Gangs und Russen als Kleinkriminelle agieren und regieren, ist Benjamins Schule. Die älteren Gangster beeindrucken die jüngeren Kids, und das schnell verdiente Geld der Russen, die sich mit Hütchen- und Kartenspielen ihren Lebensunterhalt finanzieren, animiert sie, ins gleiche Geschäft einzusteigen. Ben ist noch nicht mal zehn Jahre alt, als er sich auf der Lower East Side einen Namen macht.
Mit 19 Jahren lernt der kleine, aber umso brutalere Ben Meyer Lansky kennen, der heute als einer der wichtigsten Köpfe der Kosher Nostra gilt. Die eiserne Faust trifft Einstein, denn während Ben mit seinen Körperteilen unterhalb des Halses agiert, ist es Meyer Lanskys computerartiges Hirn, in dem Strategien ausgedacht werden und Taktiken aus den Synapsen schiessen. Bis zu diesem Zeitpunkt arbeitete Ben als Ein-Mann-Armee, jetzt hat er in Lansky, dem «Bankier des organisierten Verbrechens», den perfekten Partner für seine weitere Mobster-Karriere gefunden.
Lucky Connection
Als Bugsy und Meyer sich mit dem aufsteigenden Mobster Charles «Lucky» Luciano treffen und sich mit ihm verbünden, ist der 21-jährige Bugsy durch Alkoholschmuggel, Drogenhandel, Sklaverei, Raubzüge, Wetten und Morde nicht nur ein überaus erfolgreicher «Geschäftsmann», sondern mit den grossen Bossen wie Arnold Rothstein gleichgestellt. Mit dem schmutzigen Geld kauft er sich Klasse und Stil, heiratet 1929 Esther Krakower, kauft ein Tudor-Haus im New Yorker Vorort Scarsdale und führt ein schizophrenes Leben. Seine geheim gehaltenen Arbeiten in der Stadt sind strikte getrennt von seinem Dasein als Familienmensch, und nachdem er am Tag mit seinen Komplizen Menschen erschiesst, speist er abends mit Esther in den schicksten und teuersten Restaurants.
Lucky Luciano, dem das Tempo der alten Bosse, die er abfällig «Schnauzbart-Riege» nennt, zu langsam ist, lässt 1930 die Mobster Salvatore Maranzano und Joe Masseria ermorden. Lucky ist zwar der Drahtzieher, jedoch sind es die jüdischen Gangster der Kosher Nostra, die die Schüsse abfeuern. Benjamin Siegel ist einer von ihnen. Mit dem Tod der «Oldtimer» strukturiert Lucky den Mob in eine moderne Kooperation um und schreibt die Presse bald von der «Murder Incorporated».
Die Würfel werden geschüttelt
Staatsanwalt Thomas E. Deweys Kreuzzug gegen das organisierte Verbrechen erschwert die Geschäfte der Unterwelt, und mit dem nahenden Ende der Prohibition droht auch deren grösste und wichtigste Einnahmequelle zu versiegen. Während Meyer Lansky nach Havanna reist, um das dort boomende Casino-Geschäft auszukundschaften, um ins Glücksspiel umzusatteln, existiert für Bugsy nur ein Ort, der seiner würdig ist, und das ist Hollywood. Der Glitter und Glamour der pulsierenden Filmstadt bieten die perfekte Bühne für den smarten und attraktiven Gangster. Mit der Rückendeckung und den Millionen des New Yorker Mobs reist Bugsy mit der Mission nach Los Angeles, die Westküste aufzumischen, und es dauert nicht lange, bis er die Kontrolle über die Buchmacher und die Prostitution übernommen hat. Bugsy schmiert Polizisten und Politiker, flankiert die nobelsten Orte Hollywoods und versteht es wie kein anderer, Geschäft und Vergnügen zu vereinen sowie die richtigen Kontakte zu knüpfen. Bugsys Name wird im gleichen Atemzug mit schillernden Hollywood-Grössen wie Jean Harlow, Clark Gable, Cary Grant, Frank Sinatra oder Jack Warner genannt und seine neuen Freunde führen ihn ins Filmbusiness ein. 20th Century Fox, Walt Disney Studios, Warner Brothers, Metro-Goldwyn-Mayer Studios oder Paramount Pictures, sie alle verfallen dem Charme des eiskalten Engels, der, von Dollarzeichen geleitet und im Sinne der New Yorker Mafia, die Kontrolle über die Filmindustrie übernimmt. Bugsy Siegel ist in seinem Element. 3000 Meilen und fast ein ganzes Leben trennen ihn vom Gestank und Dreck seiner New Yorker Kindheit. Während Bugsy in der vordersten Reihe des Glitzers in seiner Rolle als Lebemann brilliert, nehmen seine Frau und die zwei Töchter im neu erworbenen Haus in Beverly Hills und in Bugsys neuem Lebensstil auf dem Rücksitz Platz.
Der Vamp
Sie sind beide jähzornig, explosiv, dominant, gierig und verschwenderisch. Virginia Hill ist schön, sexy, gewieft und arbeitet für die Chicagoer Unterwelt. In Beverly Hills soll sie Spieler für den Chicagoer Mob rekrutieren und es ist lediglich eine Frage der Zeit, bis sie und Bugsy, der zum Power-Mobster in Hollywood aufgestiegen ist, aufeinandertreffen und eine Kernschmelze entsteht. Es ist keine normale Liebesromanze, sondern Besessenheit. Die beiden Narzissten teilen die gleichen Vorlieben, sind getrieben vom selben zerstörerischen Temperament, zerschmettern bei Streitereien Geschirr und lösen ihre Konflikte mit Sex. Virginia vertritt die Interessen der Chicagoer Mafia, Bugsy die seiner New Yorker Bosse. Zusammen sind sie das neue Königspaar der Unterwelt.
Viva Las Vegas
«Mein Vater träumte von einem neuen Palm Springs, nicht von einem blinkenden fancy Las Vegas, das aussieht wie Disneyland.» Millicent Rosens Vater Bugsy reist nach Las Vegas, das rauh, dreckig, hässlich und ein Absteigeort für Cowboys und kaputte Spieler ist. Mit der Unterstützung des New Yorker Mobs und protegiert von Lucky Luciano und Meyer Lansky kauft sich Bugsy als neuer Investor beim spielsüchtigen Geschäftsmann Billy Wilkerson ein, der pleite ist und inmitten der Bauarbeiten des «Flamingo» kapitulieren muss. Es soll das glamouröseste, glitzerndste, schönste und Hollywood-ähnlichste Casino-Hotel werden. Bugsy weiss, wie man erpresst, mordet und krumme Geschäfte dreht, doch von einer Hotel-, geschweige denn Casinoführung hat er keine Ahnung und macht jeden nur erdenklichen Fehler. Geblendet von seiner zukünftigen Rolle als Casino-Boss, gibt er das Geld der Mafia mit vollen Händen aus. Nur das Teuerste ist gut genug, und wenn ihm die Krümmung einer frisch gesetzten Palme missfällt, lässt er sie wieder ausreissen und durch eine neue, perfekte, ersetzen. Bugsy hat den Bossen versprochen, das «Flamingo» in knapp einem Jahr und einen Tag nach Weihnachten 1946 zu eröffnen. Entgegen der Anordnung der Mobster, das «Flamingo» erst dann zu eröffnen, wenn alles fertig gebaut ist, hält Bugsy am 26. Dezember 1946 fest. Was als rauschende Ballnacht mit Hollywood-Stars geplant ist, mutiert zu einem Desaster, dem ortsansässige Las-Vegas-Karikaturen beiwohnen und falsch schwingende Küchentüren die Kellner zu Boden werfen.
Die Würfel sind gefallen
Doch die Bosse sind nicht nur deshalb erzürnt. Bugsy hat das Budget von einer Million US Dollar um das Vielfache gesprengt, und das Projekt «Flamingo» schreibt anstatt der versprochenen satten Gewinne jämmerliche Verluste. Die Versuche seiner Freunde Lucky Luciano und Meyer Lansky, die New Yorker Mafia zu besänftigen, scheitern kläglich, und als im Frühjahr Gerüchte aufkommen, dass entweder Virginia, Bugsy oder beide zusammen die Mafia bestehlen, wird immer klarer, dass Bugsy schlecht fürs Geschäft ist. Bugsys schimmernde Gatsby-Welt bricht auseinander, als ihn Virginia auf Anraten der Chicagoer Unterwelt verlässt und seine Frau Esther, die seine öffentlich zelebrierte Liaison mit Virginia satt hat, die Scheidung einreicht. Der funkelnde Planet von Bugsy «bedroom eye» Siegel, wie ihn die Frauen nennen, dreht sich immer langsamer und die Glühbirnen an den langen Lichterketten erlöschen eine nach der anderen.
Der 20. Juni 1947 beginnt als sonniger und klarer Tag. Es ist ein guter Tag, als Bugsy nach Los Angeles reist, um ein paar Geschäfte zu tätigen. Bugsy trifft einen alten Spielerfreund, Alan Smiley, und lädt ihn ein, mit ihm, dem Bruder von Virginia und dessen Freundin Jerry zu Abend zu essen. Das Quartett geniesst einen ausgelassenen Abend in einem der angesagten Gourmettempel von Los Angeles, und nach dem Essen kehrt die Gruppe zurück in die von Virginia verlassene Prunkvilla am 810 Linden Drive in Beverly Hills. Chick und Jerry gehen zu Bett, während Bugsy und Alan im Wohnzimmer auf dem Sofa plaudern. Es ist 22 Uhr 30, im Haus ist es ruhig und Bugsy liest die «Los Angeles Times». Er sieht die Gestalt, die im Dunkel der Nacht und Schatten der Büsche vor das Fenster tritt, nicht. Die erste Kugel trifft sein Auge mit so einer Wucht, dass der Augapfel später auf der anderen Seite des Salons gefunden wird. Die zweite Kugel bohrt sich in seinen Nackenrücken, bricht seine Nase und zerschmettert sein anderes Auge. Die restlichen sieben Kugeln findet man in den Möbeln.
Benjamin «Bugsy» Siegel ist tot. Sein babyblauer Schlafzimmerblick für immer erloschen.
Sogar als Toter hat Bugsy Stil und Klasse. Aufgebahrt in einem silbernen 5000-Dollar-Sarg, nehmen fünf Menschen in einer fünf Minuten dauernden Abdankung von ihm Abschied. Seine Ex-Frau Esther, die Töchter Millicent Rosen und Barbara, sein Bruder Maurice und seine Lieblingsschwester Betsy.
Für Bugsy Siegel erfüllte sich der Traum vom Erfolg in Las Vegas nicht. Doch für die Mafia und alle diejenigen, die in seine, ihre, Fussspuren getreten sind, sehr wohl.