
Asien auf Schienen
von Dr. Thomas Hauer | Fotos: Belmond
- 7. Februar 2018
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Exakt 2006 Schienenkilometer trennen Woodlands Station am Grenzübergang von Singapur nach Malaysia vom Bahnhof Hua Lamphong in Thailands Hauptstadt Bangkok – Stammstrecke des legendären «Eastern&Oriental Express», für die der Luxuszug rund 51 Stunden benötigt. Eine Reise zurück in Südostasiens koloniale Vergangenheit.
In einem ihrer grössten Leinwanderfolge, dem 1932 von Regie-Legende Josef von Sternberg inszenierten Spionagethriller «Shanghai Express», trifft Marlene Dietrich in der Rolle der geheimnisvollen Kurtisane Lily während einer schicksalhaften Zugreise durch das vom Bürgerkrieg zerrissene Reich der Mitte auf ihren Ex-Geliebten Harvey. Bis heute begeistert der aufwendig inszenierte Hollywoodstreifen neben dem stimmigen Plot vor allem mit seiner opulenten Ausstattung, die die goldene Ära des Eisenbahnzeitalters, jenes leichtfüssige «anything goes», das das Lebensgefühl vom Fin de Siècle bis zu den Roaring Twenties bestimmt hat, vor der exotischen Kulisse Südostasiens wie kaum ein zweiter Film der Epoche zum Leben erweckt.
Kein Wunder, dass sich auch das Design-Team des «Eastern&Oriental Express», dessen in warmes Gold, dunkles Grün und nobles Beige gewandete Waggons seit 1993 den stolzen Löwenstaat am Südzipfel Malaysias mit der Stadt der Engel an den Ufern des Chao Phraya verbinden, bei der Restauration des Zuges von Sternbergs Filmset inspirieren liess. Und so könnten die eleganten, Kirschholz-getäfelten Gesellschaftswagen des «E&O», ausstaffiert mit ausladenden Polstersesseln und edelsten Accessoires im Stile des Art nouveau einem Remake des Filmklassikers ebenso als Kulisse dienen wie die luxuriös ausgestatteten Passagierkabinen, geschmückt mit kostbaren malaysischen Edelholzintarsien und blank polierten Messingapplikationen.
Zwischen Traum und Wirklichkeit
Einmal an Bord, wird diese stimmige Inszenierung kolonialer Grandeur, dieser nostalgische Mix aus Luxus, Romantik und Abenteuer binnen Minuten zur rollenden Zeitmaschine, die die Passagiere in eine Vergangenheit befördert, die es so zwar vermutlich nie gegeben hat, aber lässt man sich auf dieses Spiel ein, fühlt man sich mit ein wenig Fantasie bald wie eine Reinkarnation von Mata Hari auf geheimer Mission. Die asiatische Bilderbuchlandschaft, die der «E&O» dabei durchfährt, gerät dabei im angenehm klimatisierten Interieur fast zur Nebensache. Wirklich nahe kommen die Passagiere dem grünen Herzen des Kontinents erst auf dem offenen, mit Teakholz beplankten Observation Deck ganz am Ende des Zuges. Während einem hier der seidige Fahrtwind das Haar zerzaust und an den kristallenen Champagnergläsern in der tropischen Hitze binnen Sekunden Kondenswasser hinabperlt, rauschen in fliegendem Wechsel labyrinthische Zuckerrohrfelder, undurchdringlicher Regenwald, steil aufragende Karstkegel und palmengesäumte Reisfelder vorbei, in denen schneeweisse Ibisse wie Statuen aufgereiht stehen; werden auf dem Weg nach Norden aus von goldenen Kuppeln überspannten Moscheen und quietschbunten Hindutempeln nach und nach buddhistische Pagoden. Fast wie im Film, nur in Farbe. Doch der Reihe nach.
Die Reise beginnt
Ausgangspunkt des exklusiven Schienenabenteuers war lange Jahre Singapurs erste Hotel-Adresse – das legendäre «Raffles» an der Beach Road No. 1. Doch weil sich die eitle Grande Dame momentan einem Lifting unterzieht und ihre Fassade deshalb hinter einem unschönen Baugerüst versteckt, trifft sich die illustre Gästeschar in der Zwischenzeit im nicht minder exklusiven «Fullerton», das im früheren Postamt der einstigen Kronkolonie untergebracht ist. Allerdings wirkt dieses stolze Kulturdenkmal – ein Musterbeispiel britischer Kolonialarchitektur – trotz imposanter neoklassizistischer Fassade und exklusiver Lage direkt an der mondänen Waterfront im Schatten der steil aufragenden Skyline des benachbarten Finanzdistrikts und gegenüber dem hypermodernen Marina-Bay-Komplex mittlerweile fast ein wenig anachronistisch.
Nachdem die Check-in-Formalitäten erledigt sind, geht es von der Hotelikone dann per Bus in einer guten halben Stunde zur Woodlands Station, wo der «E&O» seine Gäste bereits erwartet. Noch ein paar Zoll- und Grenzformalitäten, schon schliessen sich die Türen, während sich der rund 300 Meter lange Schienenkoloss ächzend in Bewegung setzt. Untergebracht sind die Gäste, je nach Raumbedarf und Portemonnaie, in drei verschiedenen Kabinenkategorien: vom knapp 6 m² kleinen Pullman-Abteil, über die immerhin rund 8 m² messenden State Cabins bis zur grosszügigen Presidential Suite mit etwa 12 m² – alle inklusive privatem Bad und WC. Tagsüber dienen die Betten als unverschämt bequeme Polstersofas und werden erst zur Nacht vom Kabinensteward in flauschige Kojen verwandelt. In den Pullman-Abteilen und State Cabins verbirgt sich das zweite Bett in der Wand und wird abends einfach heruntergeklappt. Frühstück und Afternoon Tea werden stilecht auf der Kabine serviert, die mehrgängigen Gourmetlunches und Dinners in den mitreisenden Dining Cars in der Zugmitte zelebriert.
Luxus neu definiert
Doch keine Angst: Der «E&O» ist kein rollendes Museum, die Stimmung an Bord alles andere als britisch steif. Im Gegenteil. Das Zugkonzept wurde in den letzten Jahren konsequent weiterentwickelt. Nicht zuletzt um das Angebot an die Bedürfnisse einer neuen Generation von wohlhabenden Globetrottern anzupassen, die offenbar völlig andere Vorstellungen von Reisen und Luxus hegt als noch ihre Eltern. So ist rund die Hälfte der 50 Passagiere, die diesmal an Bord sind, unter 50 Jahre alt. «Ein Grund für diesen Erfolg ist sicher auch, dass wir die bisher recht strengen Kleidervorschriften an Bord zuletzt deutlich gelockert haben», glaubt «E&O» General Manager Valentin Waldman. Statt Smoking und langem Abendkleid heisst die Devise heute «Tropical Elegance». Tagsüber ist auch lockere Freizeitbekleidung kein Problem. Ab 2018 gilt im Zug ausserdem eine All-inclusive-Politik – d.h. Getränke aus der Piano-Bar oder dem Observation Car sind dann, wie aktuell bereits alle Mahlzeiten und zwei Ausflüge entlang der Strecke, ebenfalls im Reisepreis eingeschlossen.
Street Art in Motion
Zur Frischzellenkur gehört aber auch ein Kunstprojekt. So hat Zugbetreiber Belmond unter dem Motto «Art in Motion» bei Rajesh Kumar, in Singapur ansässiger Street Artist und Absolvent des prestigeträchtigen Londoner Goldsmith College, eine rollende Leinwand kommissioniert. Und Kumar hat geliefert – kurzerhand verwandelte er die stählerne Hülle zweier Waggons per Spraydose in einen Teich voll exotischer Koi-Karpfen. Der smarte Künstler, hin und wieder auch selbst im «E&O» unterwegs, ist auch diesmal zwischen Singapur und Malaysias Kapitale Kuala Lumpur mit an Bord und erklärt Gästen seine Arbeit: «Kois symbolisieren in der asiatischen Kultur Reichtum, Glück und Eleganz. Gleichzeitig strahlen sie, obwohl ständig in Bewegung, Ruhe und Gelassenheit aus – alles Dinge, die ich selbst mit der Reise in einem Luxuszug assoziiere. Darüber hinaus hat jeder Koi ein einmaliges, unverwechselbares Muster gleich einem Fingerabdruck, so, wie auch alle Gäste des «E&O» ihre unverwechselbare Geschichte mitbringen. Bindeglied ist das gemeinsame Reiseerlebnis», so Rajesh.
Im Mittelpunkt steht die persönliche Begegnung
Zur Neupositionierung des «E&O» gehört aber auch ein komplett überarbeitetes Exkursionsprogramm. Statt klassischer Sightseeing-Touren liegt der Schwerpunkt künftig auf persönlichen Begegnungen mit Menschen, die entlang der Bahnstrecke leben. Tatsächlich funktioniert dieser Spagat zwischen ultimativem Luxus und authentischem Reiseerlebnis erstaunlich gut. So stehen zum Beispiel Ausflüge in den malaysischen Dschungel auf dem Programm, bei denen Gäste mithilfe eines lokalen Guides hautnah die Flora und Fauna des Regenwaldes kennenlernen sollen, eine Radtour durch die Reisfelder im Hinterland des River Kwai inklusive Besuch eines Palmbauern oder eine Flossfahrt samt Thai-Kochkurs.
Apropos Kochen: Auch in der gerade mal 12 m² grossen Kombüse des «E&O» weht ein neuer Wind. «Unsere Gäste sind heute deutlich mutiger als noch vor fünf oder zehn Jahren. Also bin ich relativ frei bei der Entwicklung der Menüs und lasse mich gerne von den kulinarischen Traditionen der Landstriche inspirieren, die der Zug durchquert – so wird eine Fahrt im «E&O» auch zu einer Reise durch Südostasiens Küchen», erklärt Executive Chef Yannis Martineau sein Konzept. Der Franzose, der mit einer 8-köpfigen Mannschaft seit 2007 die kulinarischen Geschicke des «E&O» lenkt, war zuvor bereits als Souschef auf dem «Venice Simplon Orient-Express» unterwegs.
Rollendes Sternerestaurant
Am ersten Abend, als der Zug noch gemächlich Richtung Kuala Lumpur rollt, lässt Martineau getreu seiner Philosophie ein malaysisches Fischcurry auf Sterneniveau servieren, während am letzten Tag der Reise gedämpfter Kabeljau in Kokoscreme bereits auf den Zielbahnhof Bangkok einstimmt. Und der nähert sich schneller, als den meisten Passagieren lieb ist. Als der «green train», wie der «E&O» von den Einheimischen genannt wird, schliesslich am späten Nachmittag in die Hua Lamphong Station einrollt, will die Stimmung an Bord im ersten Moment so gar nicht zur Hektik der aufstrebenden Millionenmetropole passen. Ja, fast macht sich ein wenig Wehmut unter den Passagieren breit. Doch viel Zeit zum Abschied nehmen bleibt nicht. Auf dem Bahnsteig stehen schon die Pagen diverser Luxusherbergen bereit, und schon bald leert sich die Plattform, verblasst die Reise im «Eastern&Oriental» im Bangkoker Verkehrschaos zu einem Traum. Und die Kois schwimmen wieder ihrer eigenen Wege …