
Als Fliegen noch kein Volkssport war
Matthias Pfannmüller
- 7. Juli 2017
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Kurztrip nach London, Surfwoche auf den Kanaren? Was vielen Menschen heute normal erscheint, war früher ein Luxus für Eliten.
Überfüllte Check-in, vor sich hin dünstende Schuhe auf Röntgen-Bändern, unangenehme Leibesvisitationen, dazu regelmässig Verspätungen: Nein, Fliegen war schon mal schöner. Das Preis-Dumping tritt aktuell in eine neue Phase und herablassende Titulierungen des Bordpersonals zeigen, welchen Prestigewert das Reisen per Flugzeug in der westlichen Welt heute noch hat – gar keinen mehr. Und während fast jeder Geschäftsreisende ein Frequent Traveller oder etwas noch Besseres ist, bleibt auch der Respekt vor der technischen Errungenschaft auf der Strecke: Zürich–Tokio nonstop in weniger als zwölf Stunden erscheint vielen Fluggästen längst zu langsam. Zeitzonen-Hopping schafft inzwischen mehr Frust als Lust.
Vor 60 Jahren war das alles noch anders. Damals galten Interkontinentalflüge als Privileg für die oberen Zehntausend, kostete das Transatlantik-Ticket nach New York so viel wie ein Neuwagen, während Normalsterbliche im Käfer nach Italien tuckerten. Regelmässige Flugpläne waren etwas ganz Neues; entsprechend prominent wurde die schnellste Art der Fortbewegung in den Medien zelebriert: Winkende Filmstars mit Blumen auf der Gangway oder Politiker im Cockpit und alle immer in Top-Garderobe – Fliegen war ein gesellschaftliches Event und das Flugzeug eine Bühne, für die man sich entsprechend chic kleidete. Nicht zuletzt auch, weil dort auch oft fotografiert wurde.
Ein neues Buch ruft jene Ära in Erinnerung, in der Flugreisen etwas Glamouröses, Aufregendes gewesen sind. Damals beherrschten noch andere Airlines und Hersteller den Luftraum: Es war die Zeit der Propeller; Düsen wurden erst in den 1960er-Jahren zum Standard. Man erfährt unter anderem, dass es ab 1945 einen von der IATA (International Air Transport Association) vorgeschriebenen Einheitstarif gegeben hat, der teilweise bis in die 1980er-Jahre hinein galt. Fluggesellschaften mussten sich folglich über ihren Service unterscheiden und taten das auch nach Kräften. Der Leser blättert staunend durch Fotos mit opulent ausgestatteten Kabinen, Waschräumen, Bars oder Bordküchen. Cockpits waren noch voll analog und es ist den Bildern anzusehen, wie laut die Maschinen damals gewesen sind: Heute ist also gar nicht alles schlechter, aber sicher weniger romantisch.
Autor Wolfgang Borgmann, der aus einer Flieger-Familie stammt und ausgewiesener Luftfahrtexperte ist, wollte dieser frühen Epoche moderner Flugreisen schon lange ein Denkmal setzen. In 33 hochinteressanten Kapiteln zeichnet er deren Genesis kompetent nach – von den Nachkriegsjahren mit der Entstehung des Bordservice über luxuriöse Flugboote, die nahezu überall landen konnten, erste «Stratosphärenkreuzer» und Konkurrenzkämpfe der Fluggesellschaften, steigende Geschwindigkeiten, Druckkabinen und Polarrouten bis hin zu Flughafen-Terminals, jenen «Kathedralen des Fortschritts». Man erfährt, dass 1964 erstmals mehr Menschen den Nordatlantik per Flugzeug überquerten als mit dem Schiff. Herausragende Baumuster jener «goldenen Jahre» wie die Lockheed Super Constellation oder Douglas DC-7C, eine De Havilland Comet und ihr französisches Pendant Sud Aviation Caravelle sowie der 1970 erstmals in Dienst gestellte Jumbo-Jet, quasi als (Luft-)Brücke in die Jetztzeit, dürfen in diesem Buch nicht fehlen. Das ist ebenso nostalgisch wie unterhaltsam, aber auch ein Lehrstück über uns Menschen, die gerne vergessen – und vieles sehr schnell als selbstverständlich erachten.
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- Flugboote waren einst ganz normal: Boarding einer Boeing 314 «Clipper» der Pan Am im Hafen von New York. Foto: Archiv Borgmann, Werk
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- Neckisches Dior-Kostüm: Stewardess einer frühen Jumbo-Version mit Wendeltreppe in die First. Foto: Archiv Borgmann, Werk
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- Auf «Inflight Entertainment» wie damals an Bord einer Lockheed Constellation der Cubana wartet man während heutigen Langstreckenflügen vergeblich. Foto: Archiv Borgmann, Werk
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- Lounges für ein geselliges Bordleben in den «booming years» des Luftverkehrs. Foto: Archiv Borgmann, Werk
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- Etagenbetten auf Nachtflügen gehörten zum Standardangebot führender Fluggesellschaften. Foto: Archiv Borgmann, Werk
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- Das Flugzeug war auch die Bühne vieler Stars, die es eilig hatten. Hier zu sehen Walt Disney. Foto: Archiv Borgmann, Werk
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