50. Todestag Hemingways – Der alte Mann und sein Leben
- 10. Juli 2012
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«Es war jetzt dunkel, wie es im September, wenn die Sonne untergegangen ist, schnell dunkel wird. Er lag gegen das abgenutzte Holz des Bugs und ruhte sich aus, so gut er konnte. Die ersten Sterne waren da. Er kannte de Namen des Rigels nicht, aber er sah ihn und wusste, dass sie bald alle da sein würden und er all seine fernen Freunde um sich haben würde.» Dass Ernest Hemingway nicht nur Schriftsteller, sondern unter anderem auch Hochseefischer und Jäger war, merkt der Leser vor allem in seinem Werk «Der alte Mann und das Meer». Denn dieses Buch lebt nicht zuletzt von den sehr authentischen Darstellungen des Kampfes eines Fischers mit einem riesigen Marlin. Er erhielt dafür den Pulitzer-Preis und ein Jahr später dann den Literaturnobelpreis. Ganz sicher stellte es seinen letzten «grossen Wurf» dar, in dem auch der Höhepunkt seines literarischen Schaffens zu sehen ist. Innerhalb kürzester Zeit verkaufte sich das Buch fünf Millionen Mal. Eine Verfilmung mit Spencer Tracey in der Hauptrolle folgte im Jahr 1958. Seinen Erzählstil verglich Hemingway oft mit der Spitze eines Eisbergs: Der Leser sieht die Spitze, doch er weiss, dass sie nur ein Bruchteil der Masse unter Wasser ist. Genau das trifft auch auf «Der alte Mann und das Meer» zu. Obwohl oberflächlich betrachtet eigentlich nicht mehr passiert, als dass ein Mann aufs Meer fährt und einen Fisch fängt, hat das Buch viel Tiefgang. Hemingway entwirft das Bild eines Kämpfers, eines Menschen, der nicht aufgibt. Eines Menschen mit vielen Schwächen, ohne Bildung, ohne Geld, und doch bleibt er bewundernswert.
«Der Fisch ist auch mein Freund», sagte er laut. «Ich hab‘ noch nie einen solchen Fisch gesehen und auch nie von so einem gehört. Aber ich muss ihn töten. Ich bin froh, dass wir nicht versuchen müssen, die Sterne zu töten.»
Schreiben, angeln, trinken und boxen
Kuba hat einige der besten Schriftsteller Lateinamerikas hervorgebracht, doch die einzige Literaturnobelpreis-Auszeichnung, die auf der Zuckerinsel ausgestellt wurde, bekam ausgerechnet ein «Gringo» im kubanischen Exil: der boxverrückte Ernest Hemingway, der den Preis grosszügig seiner zweiten Heimat stiftete. In und um Havanna fand Hemingway die Muse und Zutaten für seine grössten Leidenschaften: schreiben, angeln, trinken und boxen. 20 Jahre lang war die Finca Vigia am Stadtrand Hemingways Lebensmittelpunkt. Die Villa im Kolonialstil auf einem Hügel samt grossem Park gehört inzwischen dem kubanischen Staat. Alles stammt noch aus der Zeit, in der Hemingway hier lebte, auch der Turm, den er bauen liess, um seine zahlreichen Katzen unterzubringen. Und auf dem Schreibtisch steht noch sein Stempel, mit dem er seine Fanpost bearbeitete, bevor er sie ungeöffnet zurückschickte: «I never write letters. Ernest Hemingway». Ungefähr zwölf Kilometer östlich von Havanna liegt das beschauliche Fischerdorf Cojlmar. Das Dorf bildete den Hintergrund zum Roman «Der alte Mann und das Meer» und hier stach Hemingway mit seiner Jacht «El Pilar» gerne zum Hochseefischen in See.
Hemingway war ein brillanter Erzähler, Roman- und Novellenschreiber. In seinen Werken thematisierte er die Gefühle und Ängste der so genannten «Lost Generation» und verarbeitete Themen wie Tapferkeit, Treue, Krieg und Männlichkeit oder das Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Sein Stil ist gekennzeichnet von einem klaren Ausdruck und schlichter Wortwahl. Neben seiner sehr erfolgreichen Karriere als Schriftsteller machte Hemingway auch als Reporter und Kriegsberichterstatter von sich reden. 1923 erschienen in Paris seine ersten Kurzgeschichten in spärlicher Avantgardisten-Auflage, die der Autor zum Teil selbst auf der Strasse vertrieb. Die hilfreichen, aber strengen Mentoren seiner literarischen Anfänge waren Ezra Pound, dem Hemingway das Boxen beibrachte und der sich revanchierte, indem er Hemingway unnachsichtig die Adjektive aus den Texten hinausstrich, und Gertrude Stein, die ihn – nach seiner eigenen Definition – über die «abstrakte Beziehung der Worte» belehrte. Gertrude Stein («Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose ist eine Rose») war es, die den jungen Hemingway überredet hatte, den Journalismus aufzugeben und sich als freier Schriftsteller zu etablieren. Hemingway später: «Zeitungsarbeit schadet keinem jungen Schriftsteller etwas und kann ihm nützlich sein, wenn er sie rechtzeitig aufgibt.» Später, als Hemingway dem Avantgardismus und den esoterischen Zirkeln seiner Anfänge entwachsen und in populäre Bestseller-Bereiche vorgestossen war, urteilte Gertrude Stein weniger freundlich über ihn: «Er sieht aus wie ein Moderner, aber er riecht nach Museum.»
Doch all der berufliche Erfolg konnte ihn nicht immer glücklich machen. Ernest Hemingway litt oft an Depressionen, und auch Alkoholsucht setzte ihm zu. Momenten grosser Freude und Ausgelassenheit folgten Phasen, in denen seine Stimmung in Richtung Manie oder Depression ging. Auch das Privatleben des Schriftstellers verlief wenig geradlinig. Er war vier Mal verheiratet. Mit Elizabeth Hadley Richardson, Pauline Pfeiffer, Martha Gellhorn und schliesslich Mary Welsh.
Ein politischer Kopf?
Fast schon eine willkommene Abrundung des sowieso schillernden Hemingway-Bilds: Wie amerikanische Historiker berichten, war der Schriftsteller während des Zweiten Weltkriegs KGB-Informant – ein äusserst dilettantischer allerdings. Wie John Earl Haynes, Harvey Klehr und Alexander Vassiliev in ihrem Buch «Spies: The Rise And Fall Of The KGB In America» berichten, sei Hemingway in den Akten des Geheimdienstes als «dilettantischer Spion» geführt worden. Ausgestattet mit dem Decknamen «Argo» soll Hemingway gegenüber Sowjetagenten «wiederholt seinen Wunsch zu helfen» ausgedrückt, aber «keinerlei nützliche politische Information» geliefert haben. Und natürlich wäre Hemingway nicht Hemingway, wenn er nicht zugleich auch für eine andere Macht gearbeitet hätte. In den Gewässern vor Kuba patrouillierte der spätere Literaturnobelpreisträger mit seinem Fischerboot «El Pilar», um feindliche U-Boote auszumachen – die wollte er der US-Marine melden. Doch Politik interessierte ihn nur bedingt, und als Anti-Intellektuellen nur am Rande. Er war ein Bauchmensch.
Das hinderte ihn nicht, schnell Position zu beziehen. So im Spanischen Bürgerkrieg wie auch bei der kubanischen Revolution. Seine Standortbestimmung war jedoch meist intuitiv, emotional oder an Personen geknüpft. Und wehe, wenn man auf der falschen Seite, aus der Sicht von Hemingway, stand! Auch wenn er eher unpolitisch daherkam, besass er doch seine Grundüberzeugung. Werte, die sich aus seinem Leben und seinem Temperament ableiteten. «Jeder versucht einen jetzt mit der Behauptung einzuschüchtern, wenn man nicht Kommunist werde oder einen marxistischen Standpunkt einnehme, wird man keine Freunde haben und allein sein. Ich kann jedoch kein Kommunist werden, weil ich nur an eines glaube: an die Freiheit.» Ein Haudegen wie Hemingway konnte den Freiheitsbegriff politisch nicht abstrahieren. Er ging mit einem solchen Wert eher pragmatisch, träumerisch, ja romantisierend um.
«Als erstes würde ich mich um mich selbst kümmern. Dann würde ich meinem Nachbarn helfen. Aber um den Staat kümmere ich mich überhaupt nicht.»
Die dunklen Seiten der Liebe im Garten Eden
Er stand auf und sah den Strand entlang, verkorkte die Ölflasche, streckte sie in eine Seitentasche des Rucksacks und ging dann zum Meer hinunter, er spürte, wie der Sand unter seinen Füssen immer kühler wurde. Er sah zu dem Mädchen hin, das mit geschlossenen Augen und angelegten Armen am abfallenden Strand auf dem Rücken lag, hinter ihm das schräge Zeltbahndreieck und erste Büschel Strandgras. Es sollte nicht zu lange in dieser Stellung bleiben, senkrecht von der Sonne bestrahlt, dachte er. Dann ging er weiter und tauchte flach in das klare kalte Wasser, drehte sich auf den Rücken und schwamm so ins Meer hinaus, dass er den Strand über dem gleichmässigen Paddeln seiner Beine und Füsse im Auge behielt. Er drehte sich im Wasser und tauchte auf den Grund, berührte den groben Sand und befühlte die festen Rippen darin, kam wieder an die Oberfläche und schwamm geruhsam zurück, wobei er so langsam wie möglich zu kraulen versuchte. Er ging zu dem Mädchen und sah, dass es schlief. Er nahm seine Armbanduhr aus dem Rucksack, um es rechtzeitig wecken zu können. Eine kalte Flasche Weisswein war in Zeitungspapier und Handtücher gewickelt. Er entkorkte sie, ohne Papier oder Handtücher zu entfernen, und nahm einen kühlen Zug aus dem unhandlichen Bündel. Dann setzte er sich, um das Mädchen anzuschauen und aufs Meer hinausblicken.
Wem die Stunde schlägt
Der Schuss fiel morgens früh um halb acht. Ehefrau Mary, die vierte, fand ihren Mann in der Diele. Die doppelläufige Schrotflinte lag neben ihm; der Schuss hatte den Kopf getroffen. Mary Hemingway telefonierte mit dem Arzt, und der Arzt bestätigte, was sie wusste: Ernest Hemingway hatte sich erschossen. Der Polizist des Ortes, ein Mann namens Les Jankow, wurde zugezogen und urteilte lakonisch: «Es könnte ein Unglücksfall gewesen sein.» Eine Untersuchung wird nicht stattfinden. Hemingways Leben hatte am 2. Juli 1961 ein Ende gefunden, wie ein Roman von Hemingway hätte enden können.